Die Hofnärrin
gehen
sollen, um sein wechselndes Quartier in den Schlössern Englands zu
beziehen, um Jagden und Feste und andere Sommerfreuden zu genießen,
doch die Königin erwähnte den Aufbruch mit keinem Wort. Tag um Tag war
die Abreise verschoben worden, weil man auf die Geburt des Prinzen
wartete, nun jedoch, bei einer Verspätung von zwölf Wochen, glaubte
niemand mehr an die bevorstehende Geburt.
Und niemand erwähnte es vor der Königin – das war das
Schlimmste daran. Niemand erkundigte sich nach ihrem Befinden, fragte,
ob ihr übel sei, ob sie unter Blutungen leide oder krank sei. Sie hatte
ein Kind verloren, das ihr mehr bedeutete als die ganze Welt, und
niemand fragte, wie dies habe geschehen können oder ob sie getröstet
werden wolle. Sie war von einem Wall höflichen Schweigens umgeben, doch
hinter ihrem Rücken tuschelten und lächelten sie über sie, ja, manche
lachten sogar hinter vorgehaltener Hand und behaupteten, sie sei eben
eine alte, törichte Frau und habe das Ausbleiben ihrer Regel für eine
Schwangerschaft gehalten! Sie sei ja so dumm! Sie habe solch einen
Narren aus dem König gemacht! Wie sehr er sie hassen müsse, dass sie
ihn zum größten Hanswurst der Christenheit gemacht habe!
Königin Maria merkte wohl, wie über sie gesprochen wurde. Der
bittere Zug um ihren Mund verriet, wie verletzt sie war, und doch
schritt sie hoch erhobenen Hauptes durch diesen aufgehetzten Bienenkorb
von einem Hofstaat, der vor übler Nachrede und Tratsch summte, und
schwieg beharrlich. Ende Juli packten die Hebammen, ohne dass die
Königin öffentlich etwas hätte verlauten lassen, ihre Leinenbinden ein,
bündelten die bestickten weißen Seidenwindeln, verstauten die Häubchen,
die wollenen Kinderstiefelchen, die Unterröcke und die Wickeltücher und
trugen schließlich die prächtige hölzerne Wiege aus der Kammer. Die
Diener entfernten die Gobelins von Fenstern und Wänden, rollten den
dicken türkischen Teppich zusammen und zogen das Bett ab. Ohne ein Wort
der Erklärung seitens der Ärzte, der Hebammen oder der Königin begriff
nun ein jeder, dass es kein Baby gab, keine Schwangerschaft, dass die
Angelegenheit abgeschlossen war. In nahezu schweigender Prozession zog
der Hof in den Oatlands-Palast und richtete sich in aller Stille ein,
als wäre jemand, dessen man sich schämte, gestorben und sollte nun in
aller Stille beerdigt werden.
John Dee, angeklagt der Häresie,
Geisterbeschwörung und Erstellung astrologischer Berechnungen, war in
dem schrecklichen Rachen des Londoner Bischofspalastes verschwunden.
Wie man hörte, dienten die Kohlenbunker, die Holzlager, die
Kellerräume, ja sogar die Kloaken unter dem Palast als Kerker für
Aberhunderte verdächtiger Ketzer, die auf das Verhör durch Bischof
Bonner warteten. In der benachbarten St.-Paul's-Kathedrale steckten die
Häftlinge im Glockenturm und hatten kaum Platz zum Sitzen, vom Liegen
ganz zu schweigen. Ruhe hätten sie aber ohnehin nicht gefunden, denn
die Glocken mit ihrem ohrenbetäubenden Klang läuteten unmittelbar über
ihnen, brutale Verhöre brachen ihren Geist und brutale Folter den
Körper, und darüber hinaus blieb ihnen nur die schreckliche Gewissheit,
dass der einzige Gang nach draußen der auf den Scheiterhaufen sein
würde.
Ich konnte nichts über Mr. Dee in Erfahrung bringen, weder von
Prinzessin Elisabeth noch aus dem Hofklatsch. Nicht einmal Will Somers,
der doch sonst alles zu wissen schien, hatte gehört, was mit dem
Gelehrten geschehen war. Fragte ich ihn, so sah er mich finster an und
sagte: »Närrin, halte dich an deinen eigenen närrischen Ratschlag. Es
gibt ein paar Namen, die unter Freunden besser nicht erwähnt werden
sollten, selbst wenn diese Freunde Hofnarren sind.«
»Ich muss aber wissen, wie es ihm geht«, beharrte ich. »Es
ist … ziemlich wichtig für mich.«
»Er ist verschwunden«, sagte Will schlicht. »Es hat sich
herausgestellt, dass er doch ein Magier war, weil er so vollständig
verschwinden konnte.«
»Tot?« Meine Stimme war so leise, dass Will gar nicht
verstanden haben konnte. Er erriet das Wort jedoch aus meiner
entsetzten Miene.
»Verloren«, erwiderte er. »Verschwunden. Was vermutlich
schlimmer ist.«
Da ich nicht wusste, was ein verlorener Mann
vor seinem Verschwinden preisgeben mochte, schlief ich nachts nur noch
wenige Stunden, fuhr bei jedem Geräusch vor meiner Tür entsetzt auf,
weil ich glaubte, nun kämen sie mich holen. Ich träumte wieder von dem
Tag, als sie meine Mutter geholt hatten,
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