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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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und da ich zwischen meinen
Kindheitsängsten und der heutigen Panik hin- und hergerissen wurde,
geriet ich in einen schrecklichen Zustand.
    Nicht so die Prinzessin Elisabeth. Sie benahm sich, als hätte
sie noch nie etwas von einem John Dee gehört. Sie genoss das Leben bei
Hofe in seinem ganzen Tudor-Glanz, ging im Park spazieren, speiste in
der Halle, besuchte die Messe, wo sie den Platz unmittelbar hinter
ihrer Schwester einnahm, und begegnete dem Blick des Königs stets mit
einem stillen Versprechen.
    Ihr gegenseitiges Verlangen setzte den Hof in Flammen. Es war
eine fast spürbare Hitze. Wenn die Prinzessin einen Raum betrat, sahen
wir den König wie einen Jagdhund die Ohren spitzen. Wenn er hinter
ihrem Stuhl vorbeiging, überlief sie ein Schauder, als ob die Luft
ihren Nacken liebkost hätte. Trafen sie einander zufällig in einem der
Wandelgänge, so hielten sie drei Fuß Abstand, als wage keiner sich auf
Armeslänge heran. Sie strichen aneinander vorbei, als tanzten sie zu
einer Musik, die nur sie allein vernahmen. Wenn die Prinzessin den Kopf
drehte, starrte der König auf ihren Hals, auf die Perle, die an ihrem
Ohrläppchen hing, als hätte er so etwas noch nie gesehen. Wenn er
seinen Kopf wandte, warf sie verstohlene Blicke auf sein Profil, und
ihre Lippen teilten sich in einem leisen Seufzer. Wenn er ihr aus dem
Sattel half, hielt er sie einen Moment fest, und beide zitterten,
nachdem sie einander freigegeben hatten.
    Kein Wort fiel zwischen den beiden, das die Königin nicht
hörte, keine Liebkosung wurde ausgetauscht, bei der nicht der ganze Hof
Zeuge gewesen wäre. Die schlichte Nähe der täglichen Begegnung reichte
aus, um beide zu entflammen: seine Hände auf ihrer Taille, ihre Hände
auf seiner Schulter beim Tanz, der Moment, wenn sie einander nahe waren
und ihre Blicke sich ineinander versenkten. Kein Zweifel –
diese Frau würde jeglicher Strafe entgehen, solange dieser König das
Land regierte. Er ertrug es ja kaum, wenn er sie nicht sehen konnte, in
den Tower würde er sie also nicht schicken.
    Und die Königin musste alles mit ansehen. Die abgemagerte,
verhärmte Königin mit ihrem flachen Leib musste zusehen, wie ihre
jüngere Schwester den König durch das Hochziehen einer Augenbraue
beherrschte. Die Königin musste ertragen, wie der Mann, den sie immer
noch leidenschaftlich liebte, einer anderen Frau zur Verfügung stand
und wie Elisabeth, die ungewollte Schwester, die Maria den Vater
weggenommen hatte, nun ihren Ehemann verführte.
    Niemals verriet Königin Maria, wie ihr zumute war. Sie ertrug
ihre Schmach, wenn sie neben ihrem Ehemann saß und lächelnd eine
Bemerkung ihm gegenüber machte, nur um dann feststellen zu müssen, dass
er sie gar nicht gehört hatte, weil er zu sehr damit beschäftigt war,
Elisabeth beim Tanzen zuzusehen. Sie ertrug ihre Schmach, wenn
Elisabeth Philipp ein Buch brachte und vor dem ganzen Hof eine Widmung
auf Latein vortrug. Sie ertrug es, wenn Elisabeth eine eigens für
Philipp komponierte Melodie vorsang, sie schwieg, wenn Elisabeth ihn zu
einem Rennen herausforderte und beide der Gesellschaft davonritten und
eine halbe Stunde lang verschwunden waren. Maria besaß die Würde ihrer
Mutter, Katharina von Aragón, die sechs lange Jahre hatte miterleben
müssen, wie ihr Ehemann von einer anderen Frau besessen war, und die
während der ersten drei Jahre auf dem Thron gesessen und den beiden
noch freundlich zugelächelt hatte. Wie ihre Mutter lächelte Maria
Philipp voller Liebe und Verständnis zu und schloss auch Elisabeth mit
ein; nur ich und die wenigen, die sie wirklich liebten, konnten
erkennen, dass die beiden ihr das Herz brachen.
    Im August erreichte mich ein Brief meines
Vaters, in dem er fragte, wann ich zu ihm nach Calais kommen würde.
Tatsächlich war ich erpicht darauf, England zu verlassen. Ich fand
keinen Schlaf mehr in diesem Land, das ich einst als Heimat angesehen
hatte, nun jedoch nicht mehr als sicheren Hafen betrachtete. Ich wollte
zu meinen Leuten, ich wollte bei meinem Vater sein. Ich wollte so weit
wie möglich fort von Bischof Bonner und den Scheiterhaufen von
Smithfield.
    Zuerst suchte ich Lady Elisabeth auf. »Prinzessin, mein Vater
fragt an, wann ich zu ihm nach Calais kommen darf. Gebt Ihr mir die
Erlaubnis, zu gehen?«
    Sofort verdüsterte sich ihr hübsches Gesicht. Elisabeth liebte
es, eine Dienerschar um sich zu sammeln, sie ließ niemanden gern
ziehen. »Hannah, ich brauche dich.«
    »Gott segne Euch, Prinzessin, doch ich

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