Die Hofnärrin
Gasse zurückziehen, als
eine der Gestalten mit einer großen Kiste aus dem Laden trat und sie
auf den Wagen lud. Ich wartete ungeduldig darauf, dass er wieder im
Laden verschwand, damit ich ungesehen verschwinden konnte, als mich
plötzlich etwas stutzig machte. Das Profil des Mannes kam mir vertraut
vor, ebenso die gebeugte, dürre Gelehrtengestalt unter dem abgetragenen
Umhang.
Mein Herz hämmerte vor Angst und Hoffnung, doch ich wollte
mich erst aus der Deckung wagen, wenn ich meiner Sache sicher war. Da
kamen die beiden anderen Männer aus dem Geschäft und schleppten einen
sorgfältig verpackten Teil der Druckerpresse. Der vordere Mann war
unser Nachbar, und der Mann, der die schwere Last am anderen Ende
hielt, war Daniel, mein Verlobter. Und nun ging mir auf, dass sie
lediglich den Laden ausräumten – dass wir entdeckt waren,
hatte ich mir nur eingebildet!
»Vater! Mein Vater!«, rief ich leise und sprang aus dem
dunklen Hauseingang hervor auf die Straße.
Beim Klang meiner Stimme fuhr sein Kopf herum. Er breitete
seine Arme aus, und ich schmiegte mich hinein. Mein Vater drückte mich,
als wollte er mich nie wieder loslassen.
»Hannah, meine Tochter, mein kleines Mädchen!« Er küsste mich
auf die Stirn. »Hannah, meine Tochter, mi querida !«
Ich musterte sein Gesicht, das älter und sorgenvoller war, als
ich es in Erinnerung hatte. Dann bemerkte ich, dass auch er mich
musterte. Wir redeten beide gleichzeitig:
»Ich habe deinen Brief bekommen, schwebst du in Gefahr?«
»Vater, geht es Euch gut? Ich bin so froh …«
Wir mussten beide lachen. »Du zuerst«, meinte er. »Was ist,
bist du bedroht? Wir sind gekommen, um dich abzuholen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank nicht«, sagte ich.
»Sie haben mich wegen Ketzerei verhaftet, jedoch schnell wieder
freigelassen.«
Sofort begann mein Vater, sich verstohlen umzusehen. Ich
dachte, jeder müsse in ihm nun den Juden erkennen, denn dies war der
flüchtige, ewig schuldbewusste Blick des Auserwählten Volkes, das keine
Heimat und kein Willkommen in fremden Landen kennt.
Daniel schritt über das Kopfsteinpflaster auf uns zu, er stieg
über die Gosse hinweg und hielt jäh inne.
»Hannah«, sagte er verlegen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bei unserer letzten
Begegnung hatte ich Gift und Galle speiend die Verlobung gelöst, und
Daniel hatte mich geküsst, als ob er mich beißen wollte. Danach hatte
er mir einen überaus leidenschaftlichen Brief geschrieben, und wir
hatten uns erneut verlobt. Ich hatte ihn herbefohlen, um mich zu
retten, und nun hätte ihm mehr Dank gebührt als mein gesenktes Gesicht
und mein gemurmeltes »Hallo Daniel.«
»Hallo«, erwiderte er, ebenso ungeschickt.
»Lasst uns hineingehen«, mahnte mein Vater, nachdem er noch
einmal besorgt die Straße gemustert hatte. Er führte mich über die
Schwelle und schloss die Tür hinter uns. »Wir wollten alles
zusammenpacken, und danach sollte Daniel dich abholen. Warum bist du
hergekommen?«
»Ich bin vom Hofe geflohen«, erwiderte ich. »Ich habe nicht
gewagt, auf Eure Ankunft zu warten. Ich wollte Euch entgegenkommen.«
»Warum?«, fragte Daniel. »Was ist passiert?«
»Zurzeit werden viele Männer verhaftet, weil sie an einem
Komplott zum Sturz der Königin beteiligt sind«, erwiderte ich.
»Kardinal Pole leitet die Untersuchungen. Ich habe große Angst vor ihm.
Ich dachte, wenn er herausfindet, woher ich komme, oder …« Ich
verstummte.
Daniel sah mich scharf an. »Warst du in diese Verschwörung
verwickelt?«, fragte er unvermittelt.
»Nein«, sagte ich. »Nicht wirklich.«
Unter seinem erbarmungslosen zweifelnden Blick lief ich rot an.
»Ich war reichlich darin verstrickt«, gab ich zu.
»Dann danke Gott, dass wir da sind«, schloss er. »Hast du
schon gegessen?«
»Ich habe keinen Hunger«, gab ich zurück. »Ich helfe euch beim
Packen.«
»Das ist gut, denn wir haben ein Schiff bekommen, das mit der
Flut um ein Uhr ausläuft.«
Ich glitt von meinem hohen Druckerschemel herunter und machte
mich mit Daniel, meinem Vater und unserem Nachbarn an die Arbeit. Wir
schleppten Kisten und Tonnen und Teile der Druckerpresse zu dem Karren.
Die Pferde warteten geduldig und verhielten sich ruhig. Eine Frau
schlug ihre Fensterläden auf und fragte uns, was wir hier machten, und
unser Nachbar erklärte ihr, dass der Laden am Ende doch vermietet wäre
und wir lediglich den Plunder des alten Buchhändlers fortschafften.
Es wurde fast zehn Uhr in der Nacht, bis wir
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