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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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taten.
    Ich schlich die Nebentreppe hinunter, zögerte vor dem Eingang
zur großen Halle. Ich hörte die vertrauten Geräusche, die Gespräche der
Höflinge und gelegentlich ein schallendes Gelächter, die höheren
Stimmen der Frauen am fernen Ende der Halle, das Schaben des Messers
auf dem Tranchierbrett, das Klirren der Krüge, wenn eingeschenkt wurde.
All diese Laute waren mir in den letzten drei Jahren so vertraut
geworden, dass ich fast nicht glauben mochte, der Königshof sollte
nicht länger mein Heim, mein sicherer Hafen sein, sondern bald der
gefährlichste Ort auf der Welt.
    Ich schloss einen Moment die Augen und versuchte, meine Gabe
herbeizuzwingen, um vorauszusehen, was ich tun musste, um mir
Sicherheit zu erwerben. Doch es war nicht meine Gabe, sondern meine
tief eingewurzelte Angst, die am Ende für meine Entscheidung sorgte. In
der Küche war eine Speise angebrannt, und ein aufgeregter Küchenjunge
brachte den Geruch nach verbranntem Fleisch in die Halle. Einen
Augenblick wähnte ich mich nicht im königlichen Speisesaal, sondern auf
einem Marktplatz in Aragón – eine Frau verbrannte auf dem
Scheiterhaufen und schrie beim Anblick ihrer geschwärzten Beine vor
Entsetzen.
    Ich machte auf dem Absatz kehrt und stürzte aus dem
Schloss – es war mir gleich, ob ich Aufsehen erregte. Ich
strebte auf den Fluss zu, der den schnellsten und unauffälligsten Weg
zur Stadt verhieß. Rasch lief ich zum Landungssteg und wartete auf ein
Boot.
    Doch ich hatte vergessen, welche Angst an Königin Marias Hof
herrschte, weil der Hass auf die Spanier immer größer wurde und das
Vertrauen in die Königin immer kleiner. Am Landungssteg hielten vier
Soldaten Wache und auf dem Ufer ein weiteres Dutzend. Ich lächelte die
Männer freundlich an und tat so, als sei ich zu einem heimlichen
Stelldichein mit einem Liebhaber unterwegs.
    »Und was willst du?«, höhnte einer der jungen Soldaten. »Bist
angezogen wie ein Knabe, hast aber die Stimme eines Mädchens! Was für
einen Gespielen hättest du denn gerne, Liebchen? Wie gefällt's dir?«
    Die Antwort blieb mir erspart, da in diesem Moment ein Boot
von der Strömung herangetragen wurde. Ihm entstiegen einige Londoner
Bürger, die zum Hof wollten.
    »Kommen wir zu spät? Speist sie noch?«, fragte eine dicke
Frau, während man ihr auf den Anlegesteg half.
    »Sie sitzt noch beim Mahl«, erwiderte ich.
    »Unter dem Königsbaldachin und mit aller Pracht?« Die Frau
wollte es ganz genau wissen.
    »Alles, wie es sein soll«, bestätigte ich.
    Die Frau lächelte befriedigt. »Ich habe das ja noch nie
gesehen, obwohl ich es mir oft vorgenommen habe«, sagte sie. »Können
wir einfach hineingehen?«
    »Dort ist der Eingang zur großen Halle«, wies ich ihr den Weg.
»Das Tor wird von Soldaten bewacht, doch sie werden Euch und Eure
Familie passieren lassen. Darf ich Euer Boot nehmen? Ich muss in die
Stadt.«
    Die Frau gab dem Bootsmann ein Handzeichen. »Aber hole uns
wieder ab«, mahnte sie.
    Ich stieg in das schaukelnde Boot und wartete, bis wir außer
Hörweite waren, bevor ich dem Mann den Anleger an The Fleet als Ziel
nannte. Ich wollte nicht, dass die königlichen Wachen hörten, wohin die
Fahrt ging.
    Wieder einmal näherte ich mich unserem Geschäft äußerst
langsam. Ich wollte mich vergewissern, dass alles unverändert war,
bevor ich eintrat. Doch als ich um die Straßenecke bog, blieb ich
abrupt stehen. Zu meinem Entsetzen stand die Tür weit offen. Der dunkle
Eingang wurde von einer flackernden Fackel erleuchtet, während sich im
Laden zwei oder drei Männer zu schaffen machten. Auf der Straße wartete
ein großer Karren mit zwei Pferden. Die Männer schafften große Tonnen
heraus, und ich erkannte darin die Manuskripte, die wir vor der Abreise
meines Vaters verstaut hatten – und wusste, dass sie nun genug
Beweise gefunden hatten, um mich doppelt und dreifach hängen zu lassen.
    Ich zog mich in einen dunklen Hauseingang zurück und zog
meinen Hut tiefer ins Gesicht. Hatten sie bereits die Tonnen mit den
Manuskripten aufgestöbert, würden sie auch bald die Kisten mit den
verbotenen Büchern finden, und mein Vater und ich waren als Lieferanten
von Ketzerschriften enttarnt. Auf unsere Köpfe würde ein Preis
ausgesetzt werden. Ich sollte besser kehrtmachen, zum Fluss
zurücklaufen und sobald wie möglich ein Schiff nach Calais nehmen, denn
mein Vater und ich würden bald verbranntes Fleisch sein, wenn man
unserer habhaft wurde.
    Eben wollte ich mich rückwärts in die

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