Die Hofnärrin
Ketzerei taugten die Scheiterhaufen auf dem
Smithfield-Markt ebenso gut wie die in Aragón. Falls Kardinal Pole das
Geschäft meines Vaters aufsuchte, würde er Bücher finden, die sowohl
verboten als auch ketzerisch waren. Manche verstießen gegen das Gesetz,
weil sie Gottes Wort in Zweifel zogen, ja, sogar suggerierten, dass die
Erde die Sonne umkreise oder dass es Tiere gebe, die nicht an den
ersten sechs Tagen der Schöpfung erschaffen worden seien. Andere Bücher
waren gesetzeswidrig, weil sie die Übersetzung von Gottes Wort anders
auslegten und behaupteten, der Apfel der Weisheit sei in Wahrheit eine
Aprikose gewesen. Wieder andere waren gesetzeswidrig, weil man sie
einfach nicht verstehen konnte: Sie handelten nur von Mysterien,
wohingegen die Kirche des Kardinals darauf beharrte, sämtliche
Mysterien der Welt zu entschlüsseln.
Die Bücher in meines Vaters Geschäft würden für eine
Hinrichtung unter Anklage der Häresie sorgen, die Druckerpresse für
eine Hinrichtung unter Anklage des Hochverrats, und falls der Kardinal
jemals darauf kam, eine Verbindung zwischen den besten Kunden meines
Vaters – John Dee und Robert Dudley – und mir zu
ziehen, dann steckte mein Hals binnen kürzester Zeit in der Schlinge.
Ich blieb drei Tage im Bett, starrte an die weiße Decke und
zitterte vor Angst, obwohl draußen strahlender Sonnenschein herrschte
und die Bienen vor meinem Fenster summten. Am Abend des dritten Tages
schließlich stand ich auf. Ich wusste, dass die Königin sich nun in die
große Halle begeben und sich zu einem Mahl niedersetzen würde, das sie
nicht essen konnte. Also ging ich in ihre Gemächer, wo sie sich eben
von ihrem prie-Dieu erhob.
»Hannah, geht es dir wieder besser?« Ihr Ton war liebevoll,
doch ihre Augen blieben tot, waren hinter den Mauern ihrer Traurigkeit
gefangen. Eine Hofdame bückte sich und breitete Königin Marias Schleppe
aus, doch sie sah nicht einmal hin, nahm es vielleicht gar nicht wahr.
»Es geht mir wieder besser, doch große Sorgen bereitet mir ein
Brief, den ich heute erhalten habe«, gestand ich. Die Qual, die sich
auf meinem weißen Gesicht abzeichnete, passte gut zu meiner Geschichte.
»Mein Vater ist todkrank, und ich möchte unbedingt zu ihm fahren.«
»Weilt er in London?«
»In Calais, Euer Hoheit. Er hat in Calais ein Geschäft
eröffnet und wohnt dort zusammen mit meinem Verlobten und dessen
Familie.«
Die Königin nickte. »Natürlich darfst du zu ihm fahren,
Hannah. Und auch zurückkommen, sobald er wieder genesen ist. Geh zum
königlichen Schatzmeister und lasse dir deinen Lohn auszahlen, denn du
wirst Geld brauchen.«
»Ich danke Euch, Majestät.« Meine Kehle schnürte sich
zusammen. Sie war so lieb zu mir, ich hingegen dachte nur an Flucht.
Doch dann erinnerte ich mich an die stets brennbereite Kohlenschlacke
auf dem Smithfield-Markt und die Frau mit den blutigen Händen in den
Kerkern unter St. Paul's, und ich schlug die Augen nieder und schwieg.
Königin Maria streckte ihre Hand aus, und ich kniete und
küsste ihre Finger. Zum letzten Mal spürte ich ihre zärtliche Hand auf
meinem Kopf. »Gott segne dich, Hannah, und beschütze dich«, sagte sie
voller Wärme, nicht wissend, dass es ihr eigener treuer Kardinal und
dessen Untersuchungen waren, die mich dermaßen in Angst versetzten.
Die Königin trat einen Schritt zurück, und ich erhob mich.
»Kehre bald wieder«, befahl sie sanft.
»Sobald ich kann.«
»Wann wirst du dich auf den Weg machen?«
»Früh im Morgengrauen.«
»Dann geh mit Gott und kehre heil zurück«, wünschte sie mir.
Mit einem wehmütigen, müden Lächeln ging sie auf die Doppeltür zu, die
ihr von den Soldaten aufgehalten wurde. Dann schritt sie mit hoch
erhobenem Kopf, leerem Gesicht und Augen voller Trauer in den
Speisesaal und begrüßte ihren Hofstaat, der sie längst nicht mehr
verehrte und sich dennoch geschlossen verbeugte – wonach man
es sich auf Kosten der Regentin gut schmecken ließ.
Ich wartete nicht bis zum Morgengrauen. Sobald ich vernahm,
dass die Höflinge sich zum Essen setzten, zog ich meine dunkelgrüne
Livree an, meine neuen Reitstiefel, meinen Umhang und meinen Hut. Ich
holte meinen schmalen Brotbeutel aus einem Kasten und legte in ihn das
Messbuch, das die Königin mir einst geschenkt hatte. Den vom
Schatzmeister erhaltenen Lohn tat ich in eine kleine Geldbörse. Mehr
besaß ich nicht, selbst nach drei Jahren Lebens am Königshof –
ich hatte mir nicht die Taschen vollgestopft, wie andere es
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