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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Kirche nicht unterwirft. Und zwischen diesen beiden Mächten
könnten Leute wie wir zerquetscht werden.«
    Mich überkam das vertraute Gefühl der Ungerechtigkeit. »Und
wohin sollen wir nun gequetscht werden?«
    Daniel lächelte mir zu und legte seine Hand auf meine. »Ruhig,
Liebes«, sagte er. »Ich habe ein Heim für uns gefunden. Wir ziehen nach
Genua.«
    »Genua?«
    »Dort ist eine jüdische Gemeinde im Entstehen«, erklärte er
mit gedämpfter Stimme. »Sie erlauben unserem Volk, sich dort
anzusiedeln, weil sie auf die guten Handelskontakte, das Gold und die
verlässlichen Kredite der Juden aus sind. Wir gehen nach Genua. Ein
Arzt kann immer Arbeit finden, und ein Buchhändler kann immer Bücher an
Juden verkaufen.«
    »Und was ist mit deiner Mutter und deinen Schwestern?«, fragte
ich. Ich hoffte, sie würden in Calais bleiben, weil sie in der Stadt
Ehemänner gefunden hatten. Ich hoffte, wir würden sie lediglich alle
zwei Jahre besuchen.
    »Mary und Mutter kommen mit uns«, erwiderte Daniel. »Meine
beiden anderen Schwestern haben gute Stellungen bekommen und wollen in
Calais bleiben, so gefährlich es auch sein mag. Sarah wird von einem
Nichtjuden umworben und möchte ihn vielleicht heiraten.«
    »Und du hast nichts dagegen?«
    Daniel schüttelte den Kopf. »Als ich in Venedig und Padua war,
habe ich mehr gelernt als nur die neuen Wissenschaften«, erklärte er.
»Ich habe meine Meinung über unser Volk geändert. Jetzt glaube ich,
dass wir die Hefe der Christenheit sind. Es ist unsere Pflicht, uns
unter die Christen zu mischen und mit ihnen unser Wissen und unsere
Fähigkeiten zu teilen, unsere Begabung zum Handel und unsere Ehre.
Vielleicht werden wir eines Tages wieder ein eigenes Land haben, in
Israel. Dann müssen wir sanft herrschen, denn wir wissen nur zu genau,
wie es ist, durch Grausamkeit beherrscht zu werden. Aber wir sind nicht
dazu geboren, uns zu verbergen oder uns zu schämen. Wir wurden dazu
geboren, wir selbst zu sein und stolz darauf, das Auserwählte Volk zu
sein, das die anderen führt. Wenn meine Schwester einen Christen
heiratet, wird sie ihr Wissen und ihre Weisheit in seine Familie
einbringen, und sie werden dadurch bessere Christen sein, selbst wenn
sie niemals erfahren sollten, dass sie Jüdin ist.«
    »Und wie sollen wir nun leben – als Juden oder als
Nichtjuden?«, fragte ich.
    Sein Lächeln war unendlich warm. »Wir werden so leben, wie es
uns am besten gefällt«, erwiderte er. »Ich werde keine Christengesetze
annehmen, die mir das Studium verbieten, aber auch keine jüdischen
Gesetze, die mir zu leben verbieten. Ich werde Bücher lesen, in denen
die Frage erlaubt ist, ob die Sonne um die Erde kreist oder die Erde um
die Sonne, und ich werde Schweinefleisch essen, wenn das Tier anständig
gefüttert wurde und koscher getötet und gekocht ist. Ich werde weder
Einschränkungen bezüglich meiner Gedanken noch meiner Handlungen dulden
außer jenen, die mir sinnvoll erscheinen.«
    »Und darf ich das auch?«, fragte ich und überlegte, wohin sein
Unabhängigkeitsstreben uns führen mochte.
    »Ja«, erwiderte er schlicht. »Deine Briefe und alles, was du
jemals gesagt hast, haben nur dann einen Sinn, wenn ich dich als
Gefährtin in diesem Vorhaben betrachte. Ja, du sollst deinen eigenen
Weg finden, und ich hoffe, dass wir uns einig sein werden. Wir werden
eine neue Art zu leben erproben, die zwar unsere Eltern und unseren
Glauben ehrt, uns jedoch die Chance gibt, unser eigenes Leben zu leben
und nicht bloß ihre Nachkommen zu sein.«
    Mein Vater, der ein wenig abseits saß und unserem Gespräch
nicht aufmerksam gefolgt war, ahmte nun ein wenig überzeugendes Gähnen
nach. »Ich bin dafür, wir legen uns aufs Ohr«, sagte er. Er strich mir
über den Kopf. »Gott segne dich, Kind, es ist schön, dass du wieder bei
uns bist.« Dann wickelte er sich fester in seinen Umhang und legte sich
auf die kalten Planken.
    Daniel streckte seinen Arm nach mir aus. »Komm zu
mir – ich halte dich warm.«
    Mir war zwar nicht kalt, doch das sagte ich ihm nicht. Ich
glitt in seine Arme, schmiegte mich an diesen geheimnisvollen,
unbekannten Männerkörper. Zärtlich küsste er mein kurz geschorenes
Haar, dann fühlte ich seinen Atem an meinem Ohr.
    »Oh Hannah«, flüsterte er. »Ich habe so lange von dir
geträumt, dass ich nun vor Verlangen weinen könnte wie ein Mädchen.«
    Ich kicherte. »Daniel«, probierte ich seinen Namen auf der
Zunge. Ich wandte ihm mein Gesicht zu und spürte seinen

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