Die Hofnärrin
darauf bedacht war, ihre Gefühle
nicht zu zeigen.
»Willkommen in Calais«, sagte sie zu mir, als wir die
Laufplanke herabkamen. Stumm nahm sie ihren Sohn in die Arme und
drückte ihn ergriffen.
Er machte sich frei. »Ich muss mich um die Druckerpresse
kümmern«, sagte er zu ihr, ging zurück an Bord und kletterte in den
Laderaum hinab. Mrs. Carpenter und ich blieben allein auf dem Kai
stehen, eine Insel verlegenen Schweigens inmitten der geschäftigen
Menschen um uns herum.
»Also hat er dich schließlich gefunden«, sagte sie ohne allzu
große Begeisterung.
»Ja«, bestätigte ich.
»Und – bist du jetzt gewillt, ihn zu heiraten?«
»Ja.«
»Du musst diese Kleider ablegen«, mahnte sie. »Die Menschen in
Calais sind anständige Bürger, sie würden Anstoß nehmen an einem
Mädchen in Hosen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich hatte es nur so eilig mit der
Abreise, sonst hätte ich mich vorher noch umgezogen.«
»Es wäre besser gewesen.«
Wieder schwiegen wir.
»Hast du deinen Lohn mitgebracht?«
»Ja.« Ihr Ton gefiel mir nicht. »Meinen gesamten Lohn der
letzten beiden Monate.«
»Du wirst ihn brauchen, denn du benötigst Strümpfe und Kleider
und Hemden und Hauben, und du wirst erstaunt sein, was es hier kostet.«
»Es kann doch nicht teurer sein als in London?«
»Viel teurer«, erklärte sie resolut. »Das meiste muss aus
England eingeführt werden.«
»Warum kaufen wir dann nicht französische Kleider?«, fragte
ich.
Sie zog ein Gesicht. »Das wohl kaum«, sagte sie, ohne sich die
Mühe zu machen, die Gründe zu erläutern.
Da erschien Daniel wieder. Er wirkte erfreut, weil wir
miteinander redeten. »Ich glaube, jetzt ist alles ausgeladen«, sagte
er. »Dein Vater bleibt hier bei unseren Sachen, während ich einen
Karren besorge.«
»Ich warte mit ihm«, sagte ich hastig.
»Nein«, bestimmte er. »Geh du heim mit Mutter, sie kann dir
unser Haus zeigen, und du kannst dich ein wenig aufwärmen.«
Er wollte sichergehen, dass ich es bequem hatte. Er wusste
nicht, dass ich nichts schlimmer fand, als mit seiner Mutter nach Hause
zu gehen und mit seinen Schwestern herumzusitzen und zu warten, bis die
Männer ihre Arbeit beendet hatten und heimkamen. »Dann komme ich mit
dir, den Wagen holen«, sagte ich. »Mir ist nicht kalt.«
Er zögerte, als er den mahnenden Blick seiner Mutter gewahrte.
»So kannst du nicht mitgehen«, sagte sie bestimmt. »Du würdest uns
allen Schande bringen. Halte den Umhang zu und komm mit mir heim.«
Das Heim war ein hübsches kleines Reihenhaus
in der London Street in der Nähe des Südtores. Im Obergeschoss waren
drei Schlafzimmer: Daniels Schwestern teilten sich das große Bett in
dem hinteren Zimmer, die Mutter hatte ein winziges Gemach für sich
allein und mein Vater das dritte Zimmer. Daniel lebte hauptsächlich bei
seinem Lehrer, und wenn er im Haus übernachtete, nahm er mit einem
Rollbett im Zimmer meines Vaters vorlieb. Im ersten Stock befanden sich
Esszimmer und Wohnzimmer der Familie, und im Erdgeschoss lag das
Geschäft meines Vaters zur Straßenseite sowie eine kleine Küche mit
einer Spülküche. Im Hof hatten mein Vater und Daniel ein strohgedecktes
Dach errichtet, und dort sollte die Druckerpresse wieder zusammengebaut
und aufgestellt werden.
Daniels Schwestern hatten sich im Wohnzimmer versammelt und
warteten auf uns. Ich war mir schmerzlich bewusst, wie schmutzig meine
Kleider und mein Gesicht und meine Hände von der Reise waren, denn sie
musterten mich von Kopf bis Fuß und tauschten dann schweigende Blicke.
»Das sind meine Mädchen«, stellte Daniels Mutter sie vor.
»Mary, Sarah und Anne.«
Die drei erhoben sich wie Püppchen und knicksten gleichzeitig,
dann setzten sie sich wieder. In meiner Pagenlivree konnte ich keinen
Knicks machen, deshalb verneigte ich mich, wie ich es gewohnt war,
worauf sie große Augen machten.
»Ich setze den Kessel auf«, sagte Mrs. Carpenter.
»Ich helfe«, rief Anne und glitt aus dem Zimmer. Die anderen
beiden und ich musterten einander mit schweigender Missbilligung.
»Hattet ihr eine ruhige Überfahrt?«, erkundigte sich Mary.
»Ja, danke.« Die beseligende Nacht an Deck und Daniels
Liebkosungen schienen weit fort zu sein.
»Und wirst du Daniel nun heiraten?«
»Mary! Also wirklich!«, protestierte ihre Schwester.
»Ich sehe nicht ein, warum ich nicht fragen sollte. Die
Verlobungszeit hat ja nun lange genug gedauert. Und wenn sie unsere
Schwägerin werden soll, müssen wir doch Bescheid
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