Die Hofnärrin
Page gewohnt gewesen
war. Ich raffte die Röcke an einer Seite, doch immer noch behinderten
sie mich, und ich humpelte wie eine Stute mit Fesseln an den
Vorderbeinen. Daniel verlangsamte sein Tempo und schritt schweigend an
meiner Seite. Er warf mir einen verstohlenen Blick zu und schloss aus
meiner grimmigen Miene, dass ich mich um etwas grämte – doch
zuerst wollte er sich um die Auslieferung der Arznei kümmern.
Das Haus der Witwe war eines der älteren Gebäude im
Gassenwirrwarr der Altstadt. Alle diese Häuser duckten sich unter dem
schützenden Bollwerk der Burg, und aus den ersten Stockwerken ragten
die vorspringenden Erker in die engen Gassen hinein.
»Als wir herkamen, glaubte ich, ich würde mich niemals
zurechtfinden«, sagte Daniel im Bemühen, einen Gesprächsstoff zu
finden. »Und dann habe ich mir die Namen der Wirtshäuser eingeprägt.
Diese Stadt ist immerhin schon seit zweihundert Jahren englisch, und
deshalb findest du an jeder Ecke einen ›Efeuzweig‹ oder eine
›Jagdstube‹ oder ein ›Wanderers Ruh‹. In dieser Straße gibt es eine
Schänke mit Namen ›Hollerbusch‹. Da ist sie ja.« Er zeigte auf ein Haus
mit einem verwitterten, hin- und herschwingenden Wirtshausschild.
»Es dauert nur einen Moment.« Er ging zu einer schmalen Tür
und klopfte.
»Ach, Dr. Daniel!«, rief eine krächzende Frauenstimme von
innen. »Kommt herein, kommt herein!«
»Ma'am, ich kann nicht«, antwortete er mit seinem
ungezwungenen Lächeln. »Meine Frau wartet draußen, und ich würde jetzt
gern mit ihr heimgehen.«
Im Haus erscholl Lachen und dann die Bemerkung, sie könne sich
glücklich schätzen, solch einen Mann zu haben. Dann kam Daniel wieder
heraus und versenkte eine Münze in seiner Tasche.
»Also«, meinte er. »Sollen wir einen Spaziergang auf der
Stadtmauer machen, junge Dame? Ein bisschen frische Seeluft schnuppern?«
Ich versuchte, sein Lächeln zu erwidern, doch es gelang mir
nicht recht. Ich ließ mich von ihm bis zum Ende der Straße und dann
durch eine Gasse geleiten. Am Ende der Gasse erhob sich die gewaltige
Stadtmauer, auf deren Innenseite flache Steinstufen nach oben führten.
Wir stiegen sie hinan bis auf den Festungswall, von dort konnten wir
Richtung Norden schauen, Richtung England. England, die Königin, die
Prinzessin, mein Lord Robert: All dies schien so weit weg zu sein. In
diesem Augenblick überkam mich der Gedanke, dass ich als Hofnärrin der
Königin ein besseres Leben gehabt hatte als bei Daniel und seiner
hartherzigen Mutter und seinen giftigen Schwestern.
»Also«, begann er, seine Schritte den meinen anpassend,
während wir über den Wall spazierten, die kreischenden Möwen über
unseren Köpfen und die klatschenden Wellen zu unseren Füßen. »Was
bedrückt dich, Hannah?«
Ich drückte mich nicht um das Thema, wie jedes andere
weibliche Wesen es getan hätte. Nein, ich steuerte direkt auf den Kern
des Problems zu, als wäre ich immer noch der bedrängte Page und nicht
ein betrogenes Eheweib. »Deine Mutter hat mir erzählt, du hättest hier
in Calais eine Frau, und ein Kind«, sagte ich geradeheraus. »Und du
sähest sie und das Kind drei Mal in der Woche.«
Sein Schritt stockte. Als ich zu ihm aufsah, war sämtliche
Farbe aus seinen Wangen gewichen. »Ja«, sagte er. »Das stimmt.«
»Du hättest es mir sagen sollen.«
Daniel nickte, er überlegte kurz. »Das hätte ich wohl tun
sollen. Doch wenn ich es dir gesagt hätte, wärest du dann zu mir
gekommen und meine Frau geworden?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht.«
»Dann weißt du, warum ich es dir nicht erzählt habe.«
»Du hast mich getäuscht und unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen zur Frau genommen.«
»Ich habe dir gesagt, dass du die große Liebe meines Lebens
bist, und das ist wahr. Ich habe dir gesagt, wir müssten heiraten, um
für meine Mutter und deinen Vater zu sorgen, und ich glaube immer noch,
dass wir das Richtige getan haben. Ich habe dir gesagt, wir müssten
heiraten, damit wir zusammen leben können, wie es den Kindern Israels
geziemt, und dass ich dich beschützen würde.«
»Beschützen! In einem Viehschuppen!«, brach es aus mir heraus.
Daniel zuckte zusammen. Zum ersten Mal hatte ich ihm gesagt,
was ich von unserem ärmlichen, kleinen Haus hielt. »Schade, dass du so
über unser Heim denkst. Ich habe dir ja gesagt, dass ich später etwas
Besseres zu finden hoffe.«
»Du hast mich angelogen«, betonte ich.
»Ja«, erwiderte er schlicht. »Ich musste.«
»Liebst
Weitere Kostenlose Bücher