Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
werden. Wenn
Mrs. Oddingsell und ich dabeisaßen, verging ich fast vor Langeweile,
denn Lady Philips erzählte wohl zum dritten Mal in drei Tagen die
Geschichte von Sophies Schande und Amelias Bemerkung und Peters klugen
Worten dazu.
    Mrs. Oddingsell ertappte mich bei einem Gähnen. »Was ist mit
dir?«, fragte sie ohne jedes Mitleid.
    »Ich langweile mich so sehr«, gab ich freimütig zu. »Sie
klatscht wie ein Bauernweib. Warum ist sie so interessiert am Leben
eines Milchmädchens?«
    Mrs. Oddingsell warf mir einen sonderbaren Blick zu, sagte
jedoch nichts.
    »Hat sie keine Freunde bei Hofe oder Nachricht von Mylord,
dass sie den ganzen Nachmittag so tratschen muss?«
    Die Frau schüttelte nur den Kopf.
    Wir gingen früh zu Bett, was mir ganz recht war, und Amy
Dudley erhob sich am nächsten Morgen wie gewohnt in aller Frühe. Es
waren geregelte Tage, so geregelt, dass sie langweilig wurden, doch
Lady Dudley stand sie mit kühler Zurückhaltung durch, als würde sie ihr
kostbares Leben nicht mit Unwesentlichem verschwenden. Sie lebte ihr
Leben wie eine Schauspielerin, die in einem nutzlosen Wandbild agiert.
Sie verbrachte ihre Tage wie eine mechanische Puppe – wie
jene, die ich in den Vitrinen im Greenwich-Palast gesehen hatte: Zum
Beispiel ein kleiner goldener Spielzeugsoldat, der die Trommel schlagen
oder sich beugen und strecken konnte, um eine Kanone abzufeuern. Auch
Amy Dudley machte den Eindruck, als drehten sich in ihrem Leib und in
ihrem Kopf unsichtbare Zahnrädchen und als spräche sie nur dann, wenn
das Zahnrad eingerastet war. Es schien nichts zu geben, das sie zu mehr
Lebendigkeit erwecken konnte, sie befand sich in einem Zustand
gehorsamen Wartens. Und dann begriff ich, worauf sie so verzweifelt
wartete: auf ein Zeichen von ihm.
    Doch es wurde Anfang Februar, ohne dass Nachricht von Lord
Robert kam, auch wenn Amy mir versicherte, dass er bald kommen und mich
in seine Dienste nehmen würde, auch wenn wir wussten, dass er nicht von
der Königin verhaftet worden war – wem auch immer die Schuld
am Verlust von Calais gebührte, ihm wurde sie nicht angelastet.
    Amy Dudley war natürlich an seine Abwesenheit gewöhnt. Doch in
den ganzen Jahren, in denen Lord Robert im Tower gesessen hatte, hatte
sie den Grund für die Einsamkeit ihres Ehebettes gekannt. Für
alle – für ihren Vater wie auch für dessen Anhänger und
Verwandte – war sie eine Märtyrerin aus Liebe gewesen, und
alle hatten für Lord Roberts Wiederkehr und Amys Glück gebetet. Doch
nun musste sie allmählich erkennen – mussten alle
erkennen –, dass Lord Robert schlicht keine Lust hatte, zu
seiner Frau heimzukehren. Aus irgendeinem Grunde hatte er es nicht
eilig, in ihr Bett zurückzukehren, ihre Gesellschaft zu suchen. Nachdem
er aus dem Tower freigelassen worden war, wünschte er nicht in die
niederen Sphären ihrer Lebensweise zurückzukehren. Frei zu sein
bedeutete für Lord Robert, bei Hofe zu sein, bedeutete die Gesellschaft
der Königin, Schlachtfelder, Politik und Macht: eine größere Welt, von
der Lady Dudley keine Kenntnis hatte. Doch schlimmer als ihr
Nichtwissen war die Angst. Sie hatte vor der großen Welt ungeheure
Angst.
    Die große Welt, die Lord Roberts natürliches Element war,
bedeutete für Amy Dudley ständige Bedrohung und Gefahr. Sie deutete
seinen Ehrgeiz, seinen natürlichen, gottgegebenen Ehrgeiz als Gefahr,
seine Möglichkeiten als Risiken. Sie konnte folglich keiner seiner
Erwartungen entsprechen.
    Endlich, in der zweiten Februarwoche,
schickte sie einen Boten zu ihm. Sie trug einem seiner Diener auf, zum
Hof nach Richmond zu reiten, wo die Königin die Wöchnerinnenkammer
bezogen hatte, um die Geburt eines Thronfolgers zu erwarten. Ihre
Ladyschaft trug dem Diener auf, seiner Lordschaft auszurichten, sie
brauche ihn dringend in Chichester, und der Bote hatte Anweisung zu
warten, bis Lord Robert ihn begleiten konnte.
    »Warum schreibt sie ihm keinen Brief?«, fragte ich Mrs.
Oddingsell, erstaunt darüber, dass Lady Dudley vor der ganzen Welt ihre
Sehnsucht nach der Heimkehr ihres Mannes kundtat.
    Die Gesellschaftsdame zögerte. »Sie kann es doch halten, wie
sie mag, oder nicht?«, erwiderte sie dann barsch.
    Ihr Unbehagen enthüllte mir die Wahrheit. »Kann sie etwa nicht
schreiben?«, fragte ich ungläubig.
    Mrs. Oddingsell bedachte mich mit finsteren Blicken. »Nicht
sehr gut«, gab sie widerwillig zu.
    »Warum nicht?«, wollte ich wissen. Als Buchhändlerstochter
waren für mich das Lesen und das

Weitere Kostenlose Bücher