Die Hofnärrin
Einzige, mit dem Maria die Liebe
ihres Volkes wiedererlangen konnte, doch manchen reichte nicht einmal
dies. Manche, vielleicht die meisten, waren nun der Ansicht, die
Königin solle lieber kinderlos sterben und die Krone direkt an
Prinzessin Elisabeth vererben. Zwar war die Prinzessin auch eine Frau,
und das Volk konnte bald keine Königinnen mehr ertragen, aber immerhin
war Elisabeth Protestantin und hatte bereits verkündet, sie wolle auf
keinen Fall einen Spanier heiraten, ja, sie wolle sich überhaupt nicht
verehelichen.
Nachdem Lord Robert die Neuigkeiten übermittelt hatte, erhob
sich neuerliches Gemurmel, dann gingen die Diener wieder an ihre
Arbeit. Mylord schüttelte John Philips freundlich die Hand, küsste Lady
Philips auf die Wange und wandte sich dann mir zu.
»Hannah! Bist das wirklich du?«
Langsam kam ich die Treppe hinunter, sehr befangen, da Amy
immer noch hinter ihm an der Tür stand.
»Mylord«, sagte ich. Auf der untersten Stufe angekommen,
machte ich einen Knicks.
»Ich hätte dich nicht wiedererkannt«, sagte Lord Robert
fassungslos. »Du bist nun kein Mädchen mehr, Hannah, du bist eine
erwachsene Frau, und endlich bist du diese Hosen los! Musstest du nicht
das Laufen neu erlernen? Zeig mal deine Schuhe her! Mach ein paar
Schritte! Trägst du hohe Absätze? Das ist wahrlich eine Verwandlung!«
Ich lächelte geschmeichelt, war jedoch auf der Hut vor Amys
bohrenden Blicken. »Ich danke Euch für die Rettung aus Calais.«
Sofort verdüsterte sich seine Miene. »Ich wünschte nur, ich
hätte sie alle retten können.«
»Habt Ihr Nachricht aus Calais?«, erkundigte ich mich. »Mein
Mann und seine Familie sind vielleicht noch dort. Habt Ihr meinen Brief
weitergeleitet?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe meinem Pagen den Brief
gegeben. Er sollte ihn einem Fischer übergeben, der die französischen
Gewässer befährt, und dieser wiederum einem französischen Schiff, falls
er eines träfe. Mehr konnte ich leider nicht für dich tun. Wir haben
nichts von den Menschen gehört, die gefangen genommen wurden. Bislang
sind noch nicht einmal Friedensverhandlungen aufgenommen worden. König
Philipp wird so lange wie möglich Krieg gegen Frankreich führen, und
die Königin ist nicht in der Lage, ihm Widerstand entgegenzusetzen.
Sicherlich kommt es irgendwann zum Austausch von Gefangenen, und sie
werden nach Hause geschickt – doch Gott allein mag wissen,
wann.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er die Erinnerungen an den
Fall der uneinnehmbaren Feste Calais vertreiben. »Weißt du, ich habe
dich nie zuvor in einem Kleid gesehen. Du bist wahrlich verwandelt!«
Ich versuchte, das Kompliment mit einem Lachen abzutun, doch
dann sah ich Amy an ihren Mann herantreten.
»Ihr werdet Euch waschen und die Kleidung wechseln wollen«,
mahnte sie.
Robert verneigte sich vor ihr.
»In Eurem Schlafzimmer ist heißes Wasser bereitgestellt«,
sagte sie.
»Dann gehe ich gleich hinauf.« Er warf einen Blick über die
Schulter. »Man soll bitte auch Dee zeigen, wo er untergebracht ist.«
Ich wich ein Stück zurück, aber mein Lord sah es nicht. »Hört, John«,
rief er. »Schaut, wer hier ist!«
John Dee trat zu uns. Er hatte sich stärker verändert als Lord
Robert. Sein Haar wurde an den Schläfen grau, und seine Augen waren vor
Müdigkeit dunkel geworden. Doch immer noch strahlte sein Gesicht
Zuversicht und inneren Frieden aus.
»Wer ist die Dame?«, wollte er wissen.
»Ich bin Hannah Carpenter, Mr. Dee«, sagte ich verhalten.
Würde er verraten, dass unsere letzte Begegnung am grauenvollsten Ort
von ganz England stattgefunden hatte, als ich der Häresie angeklagt und
er mein Richter war? »Vormals Hannah Green. Die Hofnärrin der Königin.«
Rasch musterte er mich, doch dann breitete sich langsam ein
erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht aus, das bis zu den Augen reichte.
»Oh, Hannah, im Kleid hätte ich dich fast nicht wiedererkannt.«
»Übrigens ist er jetzt Dr. Dee«, sagte Lord Robert beiläufig.
»Bischof Bonners Kaplan.«
»Oh«, machte ich.
»Und dies ist dein Sohn?«, erkundigte sich John Dee.
»Ja. Das ist Daniel Carpenter«, verkündete ich stolz. John Dee
beugte sich vor und berührte die kleine Hand des Jungen. Schüchtern
wandte Danny seinen Kopf ab und verbarg sein Gesicht an meiner Schulter.
»Wie alt ist er?«
»Fast zwei.«
»Und wo ist sein Vater?«
Ich verzog das Gesicht. »Ich habe mich von meinem Mann in
Calais getrennt, ich weiß nicht, ob er wohlbehalten ist«,
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