Die Hofnärrin
Wegstrecke von Dover bis London. Alle warten
sie auf ihn. Ein kleines Heer tut nichts anderes, als auf ihn zu
warten. Ich, die Königin von England, seine eigene Frau, warte auf ihn.
Warum nur kommt er nicht?«
Darauf gab es keine Antwort. Niemand konnte ihr Antwort auf
diese Frage geben. Als sie den spanischen Gesandten fragte, verbeugte
dieser sich tief und murmelte, der König müsse bei seinem Heer
bleiben – die Notwendigkeit müsse sie einsehen –, da
die Franzosen immer noch seinen Herrschaftsbereich bedrohten. Vorerst
gab sich die Königin mit dieser Antwort zufrieden, doch am folgenden
Tag ließ sie wieder nach dem Gesandten schicken – und er war
nicht zu finden.
»Wo ist er?«, fragte die Königin. Ich hielt ihre Haube bereit,
wartete, bis die Kammerzofe ihr Haar frisiert hatte. Königin Marias
schönes kastanienbraunes Haar war grau und dünn geworden und sah nach
dem Kämmen besonders spärlich und strohig aus. Die scharfen Linien in
ihrem Gesicht und die Müdigkeit in ihren Augen ließen sie viel älter
wirken als zweiundvierzig.
»Wo ist wer, Euer Gnaden?«, fragte ich.
»Der spanische Gesandte, Graf Feria!«
Ich trat vor und reichte der Zofe die Haube. Ich wünschte mir
brennend, ich könnte einen Scherz machen, der sie ablenken würde. Ich
warf einen Hilfe suchenden Blick zu Jane Dormer, die mit dem spanischen
Grafen gut befreundet war, doch ihre Miene drückte lediglich Bestürzung
aus. Von der Seite war demnach keine Hilfe zu erwarten. Zähneknirschend
gab ich also die Wahrheit preis. »Ich glaube, er weilt zurzeit bei der
Prinzessin.«
Die Königin wandte sich erschrocken zu mir um. »Aber warum,
Hannah? Warum sollte er das tun?«
Ich schüttelte den Kopf. »Woher soll ich das wissen, Euer
Majestät? Gehört es nicht zu seinen Gepflogenheiten, der Prinzessin von
Zeit zu Zeit einen Höflichkeitsbesuch abzustatten?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Seit Graf Feria in England weilt,
hat die Prinzessin größtenteils in Hausarrest gesessen, und der Graf
selbst hat mich gedrängt, sie hinrichten zu lassen. Warum sollte er ihr
auf einmal Höflichkeitsbesuche abstatten?«
Niemand wusste darauf eine Antwort zu geben. Die Königin nahm
ihrer Zofe die Haube ab und setzte sie auf, wobei sie im Spiegel ihrem
eigenen ehrlichen Blick begegnete. »Der König wird es ihm aufgetragen
haben. Ich kenne Feria, er ist kein Mann, der vorsätzlich Komplotte
schmiedet. Der König wird ihm befohlen haben, die Prinzessin
aufzusuchen.«
Sie schwieg eine Weile und überlegte. Ich hielt die Augen
gesenkt, ich konnte es nicht über mich bringen, aufzublicken und sie
anzuschauen. Nun hatte sie doch erfahren müssen, dass ihr eigener
Ehemann der Thronerbin – ihrer Rivalin und seiner möglichen
Geliebten – persönliche Botschaften schickte.
Mit unbewegter Miene wandte die Königin sich wieder zu uns um.
»Hannah, ich möchte bitte allein mit dir sprechen«, sagte sie und
streckte die Hand aus.
Ich trat an ihre Seite. Sie nahm meinen Arm und stützte sich
leicht darauf, während wir in das Audienzzimmer schritten. »Ich möchte,
dass du zu Elisabeth gehst«, sagte sie ruhig, als sich die Türen
auftaten und wir zwischen den wenigen bei Hofe verbliebenen Höflingen
hindurchschritten. Die meisten weilten in Hatfield. »Tu so, als
wolltest du aus eigenem Antrieb einen Besuch machen. Sage ihr, du seist
erst kürzlich aus Calais zurückgekehrt und wolltest sehen, wie es ihr
geht. Tust du das für mich?«
»Ich müsste aber meinen Sohn mitnehmen.« Ich suchte Zeit zu
gewinnen.
»Nimm ihn ruhig mit. Und versuche, von Elisabeth oder von
ihren Damen zu erfahren, was Graf Feria von ihr wollte.«
»Vielleicht erzählen sie mir nichts«, sagte ich unbehaglich.
»Sie wissen doch sicher, dass ich in Euren Diensten stehe.«
»Man kann doch fragen«, stellte die Königin klar. »Und du bist
die einzige Vertraute, die Zugang zu Elisabeth erhalten wird. Du hast
abwechselnd in unser beider Dienst gestanden. Sie mag dich.«
»Vielleicht hat der Gesandte ihr wirklich nur einen
Höflichkeitsbesuch abgestattet.«
»Vielleicht. Vielleicht ist der Grund aber der, dass der König
Elisabeth drängt, den Prinzen von Savoyen zu heiraten. Sie hat mir zwar
geschworen, dass sie ihn nicht haben will, aber Elisabeth kennt keine
Prinzipien, alles an ihr ist Verstellung. Falls der König versprochen
hat, ihren Anspruch auf die Krone zu unterstützen, könnte sie im
Gegenzug die Einwilligung zu der Ehe gegeben haben. Ich muss wissen,
wie
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