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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Vorahnung
erleuchtet. »Dies ist der Sinn meines Lebens«, fuhr sie fort. »Niemand
soll mich je wieder bemitleiden müssen. Sie werden erkennen, dass ich
mein Leben hingebe, um die Braut dieses Reiches zu sein. Ich werde eine
jungfräuliche Königin sein, ich werde keine Kinder haben als meine
Landeskinder, ich werde ihre Mutter sein. Niemand wird mich davon
abhalten, niemand wird mir befehlen. Ich werde mein Leben ihnen widmen.
Dies ist meine heilige Berufung. Ich werde mich für sie aufopfern.«
    Sie wandte sich ab und schritt zum Haus zurück. Ich folgte ihr
in einiger Entfernung. Die Morgensonne vertrieb den Nebel und erschuf
einen Lichtschein um ihre Gestalt – einen Augenblick lang
wurde mir schwindlig, denn ich erkannte, dass diese Frau eine große
Königin Englands werden würde, eine Königin, die wahrhaft Visionen für
ihr Land hegte, die ihm Reichtum und Schönheit und Wohlfahrt
wiedergeben konnte, nachdem ihr Vater Kirchen und Menschen dieser
Vorzüge beraubt hatte. Die Sonne schien so hell auf ihre gelbe
Seidenhaube, dass diese wie eine Krone anmutete … Benommen
stolperte ich über ein Grasbüschel und schlug hin.
    Sie drehte sich um und sah mich auf den Knien. »Hannah?«
    »Ihr werdet Königin sein«, sagte ich schlicht. Es war meine
Gabe, die aus mir sprach. »Der König wird binnen Monatsfrist sterben.
Lang lebe die Königin. Der arme Junge, der arme Junge.«
    Im nächsten Moment war sie an meiner Seite und half mir auf
die Beine. »Was hast du gesagt?«
    »Ihr werdet Königin. Es geht nun rasch zu Ende mit ihm.«
    Einen Moment wurde ich ohnmächtig, und als ich die Augen
wieder aufschlug, hielt sie mich im Arm und schaute auf mich herab.
    »Kannst du mir noch etwas sagen?«, fragte sie sanft.
    Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Lady Maria, ich
weiß kaum, was ich geredet habe. Es geschah ohne mein Zutun.«
    Sie nickte. »Es ist der Heilige Geist, der dich zum Sprechen
bewegt, vornehmlich zur Aussprache solcher Neuigkeiten. Schwörst du,
dass dieses als Geheimnis unter uns bleibt?«
    Einen Moment zögerte ich, weil ich an das komplizierte Netz
von Loyalitäten dachte, in das ich verstrickt war: meine Treue zu Lord
Robert, meine Ehrfurcht vor meinem Vater und meiner Mutter und unseren
Verwandten, mein Gelöbnis an Daniel Carpenter – und nun bat
mich diese bedrängte Frau, ich solle ein Geheimnis für sie bewahren.
Doch ich nickte. Es war keine Treulosigkeit gegenüber Lord Robert, wenn
ich ihm verschwieg, was er längst wissen musste. »Ja, Lady Maria.«
    Ich versuchte aufzustehen, sank jedoch benommen auf die Knie
zurück.
    »Warte«, sagte sie. »Steh erst auf, wenn der Schwindel
nachgelassen hat.«
    Sie setzte sich ins Gras und legte meinen Kopf zärtlich in
ihren Schoß. Die Morgensonne war warm, im Garten summten träge die
Bienen, und in der Ferne hörte man den Ruf eines Kuckucks. »Schließ
deine Augen«, sagte Lady Maria.
    Am liebsten wäre ich in ihren Armen eingeschlafen. »Ich bin
kein Spion«, beteuerte ich.
    Ihr Finger berührte meine Lippen. »Still«, sagte sie. »Ich
weiß doch genau, dass du in Diensten der Dudleys stehst. Und ich weiß,
dass du ein gutes Mädchen bist. Wer könnte besser als ich ein Leben
verstehen, in dem man unterschiedlichen Herren verpflichtet ist? Du
musst dich nicht fürchten, kleine Hannah. Ich verstehe dich.«
    Ich spürte, wie sie mir sanft übers Haar strich, meine
kurzgeschnittenen Locken um ihren Finger wickelte. Meine Augen fielen
zu, die Sehnen in Rücken und Hals entspannten sich, weil ich fühlte,
dass ich bei ihr gut aufgehoben war.
    Lady Maria ihrerseits war weit, weit zurückgewandert in die
Vergangenheit. »So habe ich immer gesessen, wenn Elisabeth ihren
Mittagsschlaf hielt«, erzählte sie. »Sie legte ihren Kopf in meinen
Schoß, und ich flocht ihr Haar zu Zöpfen, während sie ruhte. Ihr Haar
war Bronze und Kupfer und Gold, alle Farben des Goldes vereint in einer
Locke. Sie war so ein hübsches Kind, sie war die leuchtende Unschuld in
Kindesgestalt. Und ich war erst zwanzig. Ich spielte immer, sie wäre
mein Baby, und ich wäre mit einem Mann verheiratet, der mich liebte,
und bald würden wir ein weiteres Kind haben – einen Sohn.«
    Eine ganze Weile saßen wir schweigend da, dann vernahm ich
einen lauten Knall, mit dem die Tür des Hauses aufgestoßen wurde. Ich
sah auf. Eine von Lady Marias Ehrendamen tauchte aus dem dämmrigen
Innern des Hauses auf und suchte verzweifelt nach ihrer Herrin. Lady
Maria winkte, und das

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