Die Hofnärrin
Schmerzen.«
»Können die Ärzte nichts …?«
»Jahrelang hat man ihr sogar verwehrt, einen Arzt zu
konsultieren«, sagte Jane zornig. »Mehr als einmal hätte sie aus Mangel
an Pflege sterben können. Die Hexe Boleyn wollte ihren Tod und hat, das
kann ich beschwören, mehr als einmal Gift geschickt. Lady Maria hat ein
bitteres Leben gehabt: halb Gefangene, halb Heilige, und immer hat sie
ihren Groll hinunterschlucken müssen.«
Morgens fühlte sich Lady Maria stets am
wohlsten. Nachdem sie der Morgenmesse beigewohnt und ihr Frühstück
eingenommen hatte, pflegte sie spazieren zu gehen, und oft wählte sie
mich zu ihrer Begleitung. Eines warmen Tages Ende Juli befahl sie mir,
sie zu begleiten und ihr in spanischer Sprache die Namen der Blumen zu
nennen und das Wetter zu beschreiben. Ich musste kleine Schritte tun,
um mich den ihren anzupassen, und sie hielt des Öfteren inne, eine Hand
an die Seite gepresst, während alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.
»Fühlt Ihr Euch heute Morgen nicht wohl, Mylady?«, fragte ich.
»Nur müde«, antwortete sie. »Ich habe letzte Nacht keinen
Schlaf gefunden.«
Sie lächelte, als sie meine mitleidige Miene sah. »Oh, es ist
nicht schlimmer als sonst auch. Ich sollte mich um mehr Heiterkeit
bemühen. Aber nicht zu wissen … und warten zu
müssen … und zu wissen, dass er Beratern ausgeliefert ist, die
ihr Herz daran gehängt haben …«
»Euer Bruder?«, fragte ich, als sie verstummte.
»Ich denke an ihn, jeden Tag, seit er auf die Welt gekommen
ist!«, brach es leidenschaftlich aus ihr hervor. »So ein winziger
Junge, an den so viele Erwartungen gehängt wurden. So ein guter Schüler
und so – wie soll ich es nennen? – kalt in seinem
Herzen, wenn er doch hätte warm sein sollen. Armer Knabe, armer,
mutterloser Knabe! Arm waren wir alle drei, alle drei mutterlos und
ahnungslos, was uns erwartete.
Natürlich habe ich mich mehr um Elisabeth gekümmert als um
ihn. Und nun ist sie so weit fort von mir, und ihn darf ich nicht
einmal sehen. Natürlich mache ich mir Sorgen um ihn: Was sie seiner
Seele antun, was sie seinem Leib antun … und was sie seinem
Letzten Willen antun«, fügte sie sehr leise hinzu.
»Seinem Letzten Willen?«
»Ich bin die Thronerbin«, sagte sie grimmig. »Wenn du ihnen
Bericht erstattest, darfst du getrost vermelden, dass ich das niemals
vergesse. Sag ihnen, es ist mein Erbe, und nichts wird jemals etwas
daran ändern.«
»Aber ich berichte nicht!«, rief ich erschrocken aus. Das
entsprach der Wahrheit, denn ich hatte keinen Bericht geschickt. Nichts
gab es von unserer schwermütigen Existenz und den ruhigen Nächten an
Lord Robert oder seinen Vater zu melden. Maria war eine kränkliche
Prinzessin, zum untätigen Beobachten und Warten verdammt, keine
Verräterin, die fleißig Intrigen spann.
»Ob du ihnen berichtest oder nicht«, überging sie meine
Rechtfertigung, »nichts und niemand kann mir meinen Platz streitig
machen. Mein Vater selbst hat mir den Thron hinterlassen. Er ist zuerst
mein und dann Elisabeths. Ich habe nie gegen Eduard intrigiert,
obgleich einige zu mir gekommen sind und mich um meiner Mutter willen
gebeten haben, Intrigen zu spinnen. Ich weiß auch, dass Elisabeth
niemals gegen mich ein Komplott schmieden wird. Wir sind drei Erben und
kommen nacheinander in die Thronfolge. Elisabeth weiß genau, dass ich
nach Eduard die nächste Anwärterin bin. Zuerst musste ja er kommen als
männlicher Erbe, doch danach komme ich als Prinzessin, als erste
rechtmäßige Prinzessin. Wir drei werden meinem Vater gehorchen, und
seinem Willen gemäß wird einer nach dem anderen in der Thronfolge
stehen. Ich vertraue Elisabeth, so wie Eduard mir vertraut. Und da du
versprichst, dass du nichts berichten wirst, kannst du ebenso gut diese
Antwort geben, sollte dich jemand fragen: Sage ihnen, dass ich mein
Erbe antreten werde. Und sage ihnen, dass dies mein Land ist.«
Ihre Müdigkeit war verflogen, Farbe hatte die bleichen Wangen
zum Blühen gebracht. Sie schaute sich in dem kleinen ummauerten Garten
um, als sähe sie das ganze Königreich – den Reichtum, der
wiederhergestellt werden konnte, und die Veränderungen, die unter ihrer
Regentschaft herbeigeführt würden. Die Klöster, die sie wieder
aufbauen, die Abteien, die sie gründen, das Leben, das sie dem Lande
wiedergeben wollte. »Es ist mein«, wiederholte sie. »Ich bin die
zukünftige Königin Englands. Niemand kann mich daran hindern.«
Ihr Gesicht war von einer schicksalhaften
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