Die Hofnärrin
ergab.
Doch dann, mitten im Juli, wendete sich das Blatt. Sämtliche
Allianzen, sämtliche Verträge des Herzogs konnten nichts gegen das
Gefühl jedes aufrechten Engländers ausrichten, dass Maria, Heinrichs
Tochter, die rechtmäßige Königin war. Northumberland war vielen
verhasst, und es war abzusehen, dass er unter Jane, wie zuvor unter
Eduard, Englands heimlicher Herrscher bleiben würde. Das englische
Volk, Bürger, Bauern und Adelige, murrte zuerst im Verborgenen, wandte
sich dann aber offen gegen ihn.
Die Fäden, die Northumberland gesponnen hatte, um Königin Jane
in das englische Tuch zu verweben, lösten sich auf. Mehr und mehr
Männer sprachen sich öffentlich für Lady Maria aus, mehr und mehr
Männer wandten sich insgeheim von dem Vorhaben des Herzogs ab. Lord
Roberts Mannen wurden von einem Heer wütender Bürger besiegt, die aus
den Ackerfurchen sprangen und schworen, sie würden die rechtmäßige
Königin beschützen. Lord Robert wechselte nun auch die Seiten und
verriet seinen Vater, dennoch wurde er in Bury von Bürgern gefangen
genommen und zum Verräter erklärt. Plötzlich verkündete auch der
Herzog, der in Cambridge festsaß, während seine Armee sich wie
Morgennebel auflöste, dass er für Lady Maria sei, und schickte ihr eine
Nachricht, in der er erklärte, er habe immer nur das Beste für das
Reich gewollt.
»Was bedeutet das?«, fragte ich, denn ihre Hand mit dem Brief
zitterte so sehr, dass sie kaum fähig war, ihn zu lesen.
»Es bedeutet, dass ich gesiegt habe«, erwiderte Lady Maria
schlicht. »Gesiegt gemäß Recht, anerkannt gemäß meiner Rechte und nicht
durch einen Krieg. Ich bin die Königin, weil mein Volk es so will. Das
Volk hat gesprochen, trotz der Macht des Herzogs, und ich bin die
Königin, die es haben will.«
»Und was geschieht mit dem Herzog?«, fragte ich und dachte
dabei an seinen Sohn, Lord Robert, der nun in irgendeinem Kerker
schmachtete.
»Er ist ein Verräter«, sagte sie mit eisigem Blick. »Was
glaubst du, wäre mir geschehen, wenn ich verloren hätte?«
Ich sagte nichts, ich wartete einen Moment, einen Herzschlag
lang, den Herzschlag eines jungen Mädchens. »Und was geschieht mit Lord
Robert?«, fragte ich verzagt.
Lady Maria wandte sich um. »Er ist ein Verräter und eines
Verräters Sohn. Was, glaubst du, wird mit ihm geschehen?«
Lady Maria schwang sich in den Damensattel
ihres mächtigen Pferdes und lenkte es auf die Straße nach London.
Eintausend, zweitausend Mann ritten hinter ihr, deren Pächter und
Gefolge marschierten zu Fuß hinterher. Lady Maria führte ein mächtiges
Heer an, und nur ihre Hofdamen und ich, die Hofnärrin, durften an ihrer
Seite reiten.
Als ich mich umschaute, sah ich den von Pferdehufen und
marschierenden Männern aufgewirbelten Staub wie einen Schleier über den
reifen Feldern liegen. Wenn wir Dörfer passierten, rannten die Menschen
mit Sicheln oder Hippen bewaffnet aus ihren Katen, fügten sich in den
Heerzug ein und passten ihre Schritte den Marschierenden an. Die Frauen
winkten und jubelten, manche liefen mit Blumen auf Lady Maria zu oder
streuten Rosen vor die Hufe ihres Pferdes. Lady Maria thronte in ihrem
alten roten Reitkleid auf ihrem mächtigen Ross wie ein Ritter, mit hoch
erhobenem Kopf zog sie in die Schlacht, trachtete, ihre Krone in
Empfang zu nehmen. Sie sah aus wie eine Prinzessin aus dem Märchenbuch,
der am Ende ihr Recht zuteil wird. Sie hatte dank ihrer
Entschlossenheit und ihres Mutes den größten Sieg ihres Lebens
errungen, und ihr Lohn war die Anbetung des Volkes, über das sie
herrschen würde.
Jeder glaubte, ihre Thronbesteigung verheiße die Rückkehr
fetter Jahre, guter Ernten, warmen Wetters, und die ewig
wiederkehrenden Epidemien von Pest und Schweißfieber und Grippe hätten
nun ein Ende. Jeder glaubte, sie werde der Kirche wieder zu ihrem Recht
verhelfen, die Heiligtümer wieder einsetzen, die Sicherheit des
Glaubens gewährleisten. Jeder erinnerte sich an die Mildtätigkeit und
Schönheit ihrer Mutter, die länger Königin von England als Prinzessin
von Spanien gewesen war, die längst- und meistgeliebte Frau Heinrichs
VIII. – eine Frau, die mit einem Segensspruch für ihren
Ehemann auf den Lippen gestorben war, obwohl er sie lange vorher
verlassen hatte. Jeder war froh, die Tochter Katharinas mit goldener
Kappe auf dem Kopf zum Thron der Mutter reiten zu sehen, gefolgt von
einem Heer von Getreuen, deren strahlende Mienen der Welt bezeugten,
wie stolz sie auf den Dienst bei solch
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