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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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einer Prinzessin waren. Und nun
hatten sie die Ehre, sie in die Hauptstadt zu bringen, wo sie schon
jetzt zur Königin ausgerufen worden war und die Kirchenglocken die
frohe Botschaft verkündeten.
    Auf dem Weg nach London verfasste ich einen Brief an Lord
Robert, den ich getreu seinem Code verschlüsselte. Er lautete: »Ihr
sollt des Hochverrats angeklagt und hingerichtet werden. Bitte, Mylord,
flieht. Flieht, ich flehe Euch an.« In einem Gasthof warf ich den Brief
in den Kamin und sah zu, wie er verkohlte, dann nahm ich den Schürhaken
und zerkrümelte ihn zu schwarzer Asche. Es gab keine Möglichkeit, Lord
Robert eine Warnung zukommen zu lassen, und in Wahrheit brauchte er
auch keine.
    Er hatte gewusst, welches Risiko er einging, spätestens zu
jener Stunde, als er in Bury besiegt wurde. Ob er zurzeit im Kerker
irgendeiner kleinen Stadt steckte, verhöhnt von den Männern, die ihm
vor einem Monat noch die Füße geküsst hätten, oder gar schon im
Tower – er wusste, dass er so gut wie tot war, zur Hinrichtung
verdammt. Er hatte Verrat an der rechtmäßigen Thronerbin begangen, und
die Strafe für Hochverrat lautete auf Tod durch Erhängen, bis der
Verurteilte das Bewusstsein verlor, um dann unter unsäglichen Schmerzen
wieder zu sich zu kommen, wenn der Henker seinen Bauch aufschlitzte und
seine Eingeweide herauszog, sodass der letzte Blick des Gehängten auf
sein pulsierendes Inneres fiel … Und dann würde er gevierteilt
werden: Zuerst würde der Kopf abgeschlagen und dann der Körper in vier
Teile gehackt werden, dann würde sein schönes Haupt den anderen zur
Warnung auf einen Pfahl gesteckt und sein hingemetzelter Körper in alle
vier Ecken der Stadt verstreut werden. Es war der grausamste Tod, den
ein Mensch erleiden konnte, fast so schrecklich wie bei lebendigem
Leibe verbrannt zu werden, und wer sollte darüber besser Bescheid
wissen als ich?
    Ich weinte nicht um ihn. Ich war ein junges Mädchen, aber ich
hatte so viel Tod und Angst gesehen, dass ich wusste, es hatte keinen
Sinn, vor Kummer zu weinen. Doch in der Nacht fand ich keinen Schlaf,
auch in den folgenden Nächten nicht. Ich fragte mich unablässig, wo
Lord Robert sein mochte und ob ich ihn je wiedersehen würde. Ob er mir
vergeben würde, wenn ich unter Jubelrufen und Segenswünschen in die
Hauptstadt einritt, an der Seite der Frau, die ihn so vernichtend
geschlagen hatte und nun für die Vernichtung seiner gesamten Familie
sorgen würde?
    Lady Elisabeth, die in der Zeit der Gefahr
zu krank gewesen war, um sich von ihrem Lager zu erheben, schaffte es,
vor uns in London zu sein. »Dieses Mädchen ist immer die Erste, wohin
sie auch kommt«, bemerkte Jane Dormer säuerlich.
    Zur Begrüßung ritt Lady Elisabeth uns aus der Stadt entgegen,
begleitet von tausend Mann in den Tudor-Farben Grün und Weiß. Sie ritt
so stolz, als sei sie weder krank gewesen vor Angst, noch habe sie sich
feige in ihrem Bett versteckt. Sie machte den Eindruck, als wäre sie
der Bürgermeister von London und gekommen, um uns die Schlüssel zur
Stadt zu überreichen, während ringsum die Jubelrufe der Londoner wie
Glockengeläut erklangen. »Gott schütze Euch!«, riefen sie den beiden
Prinzessinnen zu.
    Ich zügelte mein Pferd und ließ mich ein wenig zurückfallen,
um das Geschehen besser beobachten zu können. Ich hatte mich danach
gesehnt, Elisabeth zu sehen, seit Lady Maria mit solcher Liebe von ihr
gesprochen hatte und seit Will Somers sie eine Ziege genannt hatte:
eben noch oben, gleich wieder unten. Ich erinnerte mich an einen
wirbelnden grünen Rock, an ein rothaariges Köpfchen, kokett an die
dunkle Rinde eines Baumes gelegt … ein junges Mädchen, das im
Garten vor seinem Stiefvater floh, in einem Spiel, bei dem es gar zu
gern gefangen werden wollte. Nun brannte ich darauf zu sehen, wie
dieses Mädchen sich verändert hatte.
    Die junge Frau auf dem Pferd war weit mehr als das
unschuldige, strahlende Kind, das Lady Maria beschrieben hatte, war
etwas ganz anderes als das Opfer der Umstände, das Will in ihr gesehen
hatte, und dennoch keine berechnende Sirene, wie Jane Dormer meinte.
Hier war eine Frau, die mit absoluter Zuversicht auf ihr Schicksal
zuschritt. Sie war jung, gerade erst neunzehn Jahre alt, und doch
wusste sie, Eindruck zu erwecken. Die Begrüßungskavalkade war
sorgfältig geplant – Elisabeth wusste um die Macht schöner
Bilder und besaß die Fähigkeit, ihre eigenen zu erschaffen. Das Grün
ihrer Livree war sorgsam ausgewählt, um das

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