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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Elisabeth
besaß sichtlich andere Qualitäten. Sie hatte die Hinrichtung ihres
Liebhabers überlebt, sie hatte die Gefahren von einem Dutzend Intrigen
abgewehrt. Sie hatte ihre Lust zu beherrschen gewusst, sie hatte das
Spiel der Höflinge bestens erlernt. Sie, die protestantische
Prinzessin, war zur Lieblingsschwester ihres kleinen Bruders
aufgestiegen. Sie hatte sich aus den Verschwörungen bei Hofe
herausgehalten und doch auf den Penny genau den Preis jedes
Hofschranzen gewusst. Ihr Lächeln war vollkommen sorglos, ihr Lachen so
lieblich wie Vogelgesang – doch ihre Augen blickten so
durchdringend wie die einer Katze, der nichts entgeht.
    Ich wollte alles über sie erfahren: was sie tat, was sie
sprach, was sie dachte. Ich wollte wissen, ob sie selbst ihre Wäsche
säumte, ich wollte wissen, wer ihre Halskrause stärkte. Ich wollte
wissen, wie oft sie diesen üppigen roten Haarschopf wusch. Sobald ich
sie in ihrem grünen Gewand auf dem riesigen Schimmel an der Spitze
dieser großen Schar von Männern und Frauen gesehen hatte, wünschte ich
mir, eines Tages vielleicht so zu werden wie sie. Eine Frau, die stolz
war auf ihre Schönheit und schön in ihrem Stolz – ich sehnte
mich danach, so eine Frau zu werden. Lady Elisabeth schien mir schon
jetzt etwas zu sein, das Hannah die Hofnärrin eines Tages vielleicht
werden konnte. Ich war so lange ein unglückliches Mädchen gewesen, so
lange ein unglücklicher Junge und so lange schon ein Hofnarr, dass ich
keine Vorstellung mehr davon hatte, was es hieß, eine Frau zu sein.
Doch als ich Lady Elisabeth hoch zu Ross erblickte, strahlend vor
Schönheit und Zuversicht, fand ich, dass ich auch so eine Frau werden
könnte. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich eine so blendende
Erscheinung gesehen. Diese Frau gab rein gar nichts auf mädchenhafte
Bescheidenheit, im Gegenteil, sie sah aus, als würde sie Anspruch auf
den Boden erheben, auf dem sie dahinritt.
    Doch sie war nicht auf schamlose Art kühn, obwohl sie wildes
rotes Haar hatte, ein lachendes Gesicht und eine überschäumende
Lebenslust, die sich in allen ihren Bewegungen zeigte. Sie legte die
ganze Bescheidenheit einer jungen Frau an den Tag, die dem Manne, der
ihr in den Sattel hilft, zuerst ein halbes Lächeln schenkt und dann
beim Aufnehmen der Zügel kokett den Kopf abwendet. Sie wirkte, als
koste sie das Vergnügen, eine junge Frau zu sein, bis zur Neige aus,
als sei sie aber nicht bereit, auch die damit verbundenen Schmerzen in
Kauf zu nehmen. Sie wirkte wie eine junge Frau, die wusste, was sie
wollte.
    Ich sah von ihr zu Lady Maria, meiner Gebieterin, die ich
unterdessen lieb gewonnen hatte, und dachte, es wäre besser, wenn sie
bereits Heiratspläne für Elisabeth gemacht hätte, damit diese so rasch
wie möglich und so weit wie möglich weggeschickt werden würde. Kein
Haus konnte mit so einem Feuerbrand in seiner Mitte zur Ruhe kommen,
und kein Königreich konnte Frieden finden mit so einer strahlenden
Thronfolgerin neben einer älter werdenden Königin.

Herbst
1553
    N achdem Lady Maria
sich in ihrem neuen Leben
als zukünftige Königin von England eingerichtet hatte, erkannte ich,
dass ich nun mit ihr über meine Zukunft sprechen musste. Im September
hatte ich meinen Lohn aus Mitteln des königlichen Haushalts erhalten
wie alle, die in ihren Diensten standen, ob Pagen oder Musiker. Es sah
ganz danach aus, als wäre ich von Gebieter zu Gebieter weitergereicht
worden: Zuerst war ich leibeigener Narr des Königs, dann Vasall des
Lords, der jetzt im Tower steckte, und nun war Lady Maria, bei der ich
den ganzen Sommer verbracht hatte, meine Herrin geworden. Im Gegensatz
zu den unzähligen Bittstellern, die in jenen Tagen vor Lady Maria
erschienen und versicherten, ohne ihren persönlichen heldenhaften
Einsatz hätte sie niemals die Unterstützung ihres Dorfes erhalten, fand
ich es allmählich an der Zeit, den königlichen Dienst zu quittieren und
zu meinem Vater heimzukehren.
    Ich wählte den Zeitpunkt sorgfältig. Ich passte Lady Maria
nach der Messe ab, denn wenn sie aus der Kapelle kam, befand sie sich
zumeist in gehobener und weihevoller Stimmung. Für sie war es kein
leeres Schauspiel, wenn der Priester die Hostie beim Sakrament der
Wandlung in die Höhe hob, sondern ein Zeichen der Anwesenheit des
auferstandenen Gottes. Man sah es ihren leuchtenden Augen und ihrem
heiteren Lächeln an, dass sie sich auf eine Art erhoben fühlte, wie sie
nur sehr gläubigen Menschen zuteil wird. Auf dem Heimweg von der

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