Die Hofnärrin
Messe
ähnelte sie eher einer Äbtissin denn einer Königin, deshalb wählte ich
diese Gelegenheit, um sie anzusprechen.
»Euer Gnaden?«
»Ja, Hannah?«, fragte sie mit heiterem Lächeln. »Kannst du mir
etwas Weises sagen?«
»Ich bin eine sehr unzuverlässige Seherin«, erwiderte ich.
»Meine Verkündigungen sind sehr selten.«
»Du hast mir die Königswürde vorhergesagt, und daran habe ich
in den Tagen der Angst festgehalten«, sagte sie. »Ich kann warten, bis
die Gabe des Heiligen Geistes erneut aus dir spricht.«
»Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen«, sagte ich
beklommen. »Ich habe gerade mit dem Kämmerer Eures Haushalts
gesprochen …«
Sie wartete. »Hat er dir zu wenig bezahlt?«, erkundigte sie
sich höflich.
»Nein! Überhaupt nicht! Das habe ich nicht gemeint!«, rief ich
verzweifelt aus. »Nein, Euer Gnaden. Dies ist das erste Mal, dass Ihr
mir Lohn gegeben habt. Auch der König hat mir Lohn bezahlt. Doch in
seine Dienste bin ich getreten, weil der Herzog von Northumberland mich
dem König als Hofnarr übereignet hat. Und dann bin ich von Lord Robert
zu Euch geschickt worden. Ich wollte damit nur sagen, dass Ihr mich,
hm, dass Ihr mich nicht behalten müsst.«
Mittlerweile waren wir vor ihren Privatgemächern angelangt,
und das war gut so, denn Lady Maria brach in ein äußerst unkönigliches
prustendes Lachen aus. »Du willst doch nicht wieder Leibeigene werden?«
Ich ertappte mich selbst bei einem Lächeln. »Bitte, Euer
Gnaden – durch eine Laune des Herzogs wurde ich meinem Vater
weggenommen und dem König als Hofnarr zu Eigen gegeben. Seit damals bin
ich in Eurem Haus gewesen, ohne dass Ihr um meine Gesellschaft gebeten
hättet. Ich wollte damit nur sagen, dass Ihr mich entlassen könnt, wenn
Ihr wollt.«
Sofort wurde sie ernst. »Du willst also nach Hause, Hannah?«
»Nicht unbedingt, Euer Gnaden«, wandte ich behutsam ein. »Ich
liebe meinen Vater sehr, aber in seinem Hause bin ich lediglich sein
Sekretär und Drucker. Selbstverständlich ist das Leben bei Hofe viel
fröhlicher und interessanter.« Und vielleicht bin ich hier sicherer,
fügte ich insgeheim hinzu, denn dieser Punkt war nicht gerade unwichtig.
»Du hast doch einen Verlobten, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte ich und bemühte mich, dieses Hindernis
sogleich aus dem Weg zu schaffen. »Aber wir werden erst in einigen
Jahren heiraten.«
Lady Maria lächelte über meine kindliche Antwort. »Hannah,
würdest du gern bei mir bleiben?«, fragte sie sanft.
Ich kniete vor ihr nieder und sprach aus tiefstem Herzen.
»Sehr gern.« Ich vertraute ihr, ich wusste, bei ihr würde ich gut
aufgehoben sein. »Aber ich kann Euch keine Prophezeiungen versprechen.«
»Das weiß ich doch«, erwiderte sie in zärtlichem Ton. »Es ist
eine Gabe des Heiligen Geistes, die kommt und geht. Ich erwarte nicht,
dass du mein Hofastrologe wirst. Ich möchte, dass du mein kleines
Mädchen bleibst, meine kleine Freundin. Willst du das sein?«
»Ja, Euer Gnaden, das würde mir gefallen«, sagte ich und
spürte ihre Hand auf meinem Kopf.
Einen Augenblick lang ließ sie ihre Hand schweigend auf meinem
Kopf liegen, während ich vor ihr kniete. »Selten finde ich einen
Menschen, dem ich trauen kann«, sagte sie leise. »Als du in mein Haus
gekommen bist, standest du im Sold des Feindes, doch deine Gabe kommt
von Gott, und ich glaube, auch du selber bist mir von Gott gesandt
worden. Und du liebst mich doch jetzt, oder nicht, Hannah?«
»Ja, Euer Gnaden«, erwiderte ich schlicht. »Ich glaube nicht,
dass ein Mensch Euch dienen kann, ohne Euch lieb zu gewinnen.«
Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. »Oh doch, das
kommt schon vor.« Ich wusste, dass dies eine Anspielung auf die
Kinderpflegerinnen ihrer Kindheit war, die dafür bezahlt wurden, dass
sie die Prinzessin Elisabeth anbeteten und das ältere Mädchen
demütigten. Lady Maria nahm ihre Hand von meinem Kopf und ging zum
Fenster, schaute in den Garten hinaus. »Du kannst sofort mitkommen und
mir Gesellschaft leisten«, sagte sie gedämpft. »Ich muss mit meiner
Schwester sprechen.«
Ich folgte ihr durch ihre Privatgemächer in den Wandelgang,
der einen schönen Blick über den Fluss gewährte. Die Felder waren
voller gelber Stoppeln, die Ernte war jedoch nicht gut gewesen. Zur
Erntezeit hatte es geregnet. Der Weizen war nass geworden, und es
bestand die Gefahr, dass die Körner an den Halmen verfaulten. Dann gab
es nicht genug Getreide für den langen Winter, und im
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