Die Hofnärrin
schickte ihr heiliges Licht in die Dunkelheit.
Mein Vater war blass. Aufgrund unserer langjährigen Flucht war
mir klar, dass mein Klopfen ihn erschreckt hatte. Zwar hatte er mich
erwartet, und es lag auch kein Grund zur Angst vor, doch das Klopfen an
seiner Haustür hatte ihn erschreckt. Ich wusste, wie ihm zumute war,
denn ich hatte es oft genug selbst erlebt.
»Vater, ich bin's nur«, sagte ich leise und kniete vor ihm
nieder. Er segnete mich und richtete mich wieder auf.
»Also dienst du wieder am Königshof«, sagte er lächelnd.
»Wahrlich, du stehst unter einem Glücksstern, Tochter.«
»Sie ist eine wunderbare Frau«, erklärte ich. »Ihr verdanke
ich es, nicht einem Glücksstern. Am Anfang wäre ich am liebsten aus dem
Dienst bei ihr geflohen, doch nun möchte ich keinem anderen mehr
dienen.«
»Auch Lord Robert nicht?«
Ich warf einen misstrauischen Blick zur Tür. »Er braucht mich
nicht. Nur die Wachen im Tower können etwas für ihn tun, und ich hoffe,
sie tun ihr Bestes.«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch, wie er damals
ankam … Ein Mann, von dem man annehmen sollte, dass er eines
Tages die halbe Welt beherrscht, doch nun …«
»Sie wird ihn nicht hinrichten lassen«, sagte ich. »Jetzt, wo
der Herzog tot ist, wird sie allen Gnade widerfahren lassen.«
Mein Vater nickte. »Das sind gefährliche Zeiten. Mr. Dee
bemerkte neulich, dass gefährliche Zeiten eine Feuerprobe für den
Wandel darstellen.«
»Habt Ihr ihn gesehen?«
Wieder nickte mein Vater. »Er war auf der Suche nach den
letzten Seiten eines Manuskriptes, das sich in seinem Besitz befindet,
oder wollte zumindest eine Abschrift davon auftreiben. Der Verlust wäre
wirklich beklagenswert. Er hat dieses Buch erstanden, in dem die
Anleitung zu einem alchemistischen Versuch steht, doch leider fehlen
die letzten drei Seiten.«
Ich lächelte. »War es vielleicht ein Rezept, wie man Gold
macht? Und irgendetwas hat gefehlt?«
Mein Vater erwiderte mein Lächeln. Es war unser ganz privater
Scherz, dass wir vom Erlös der Alchemiebücher, die das Rezept für den
Stein der Weisen versprachen, wie die spanischen Granden leben konnten.
Da gab es genaue Anleitungen, wie man unedle Metalle in Gold verwandeln
und das Elixir für das ewige Leben herstellen könne. Mein Vater besaß
Dutzende von Alchemiebüchern, und als ich klein war, hatte ich ihn
angebettelt, wir sollten den Stein selber machen und reich werden. Doch
als er mir die Werke zeigte, erwiesen sie sich als verwirrende Sammlung
von Mysterien und Bildern, Gedichten, Zaubersprüchen und
Gebeten – und am Ende konnte kein Mann dadurch klüger oder
reicher werden. Viele kluge Männer hatten viele Bücher erstanden, um
die Rätsel zu entschlüsseln, die traditionellerweise das Geheimnis der
Alchemie verbargen, doch keiner von ihnen war jemals wiedergekommen, um
uns zu sagen, dass er nun das Geheimnis gefunden und das ewige Leben
erlangt habe.
»Wenn es jemals einem Menschen gelingt, dieses Geheimnis zu
entschlüsseln und Gold herzustellen, dann ist es John Dee«, behauptete
mein Vater. »Er ist einer der größten Gelehrten unserer Zeit.«
»Ich weiß«, erwiderte ich. Ich musste an die Nachmittage
denken, als ich auf dem hohen Stuhl gesessen und Textpassagen in
Griechisch oder Latein gelesen hatte, die John Dee während meiner
Lesung rasch und mühelos übersetzte. »Aber glaubt Ihr wirklich, dass er
in die Zukunft sehen kann?«
»Hannah, dieser Mann kann um die Ecke sehen! Er hat eine
Maschine erfunden, mit der man über Häuser hinweg oder um ihre Ecken
spähen kann. Er kann die Bewegung der Sterne vorhersagen, er kann die
Gezeiten messen und voraussagen, er entwirft eine Karte dieses Landes,
mit der ein Mann an der gesamten Küste entlangsegeln kann.«
»Ja, diese Karte kenne ich«, pflichtete ich ihm bei –
allerdings hatte ich sie auf dem Schreibtisch der Feinde der Königin
gesehen. »Er sollte aber ein Auge darauf haben, wer seine Arbeit nutzt.«
»Sein Werk ist rein der Forschung gewidmet«, sagte mein Vater.
»Man kann ihn nicht dafür verantwortlich machen, wenn andere seine
Erfindungen missbrauchen. Er ist ein großer Mann, der Tod seines
Gebieters wird ihm nichts anhaben können. Er wird noch im Gedächtnis
der Menschen fortleben, wenn der Herzog und seine ganze Sippe längst
vergessen sind.«
»Aber Lord Robert nicht«, widersprach ich.
»Sogar er«, meinte mein Vater. »Ich sage dir, Kind, ich habe
noch nie einen Mann kennengelernt, der Wörter,
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