Die Hofnärrin
Lande würde der
Hunger herrschen. Und nach dem Hunger kamen die Krankheiten. Um unter
diesen Umständen eine gute Herrscherin zu sein, hätte man dem Wetter
selbst gebieten müssen, und nicht einmal Lady Maria, die jeden Tag
ihren Kniefall vor Gott tat, konnte dies vollbringen.
Wir hörten das Rascheln eines Seidenunterrockes. Ich drehte
mich um und sah Lady Elisabeth von der anderen Seite der Galerie
eintreten. Die junge Frau musterte mich, dann lächelte sie mich
schelmisch an, als wären wir Verbündete. Plötzlich kam ich mir vor wie
eine Schülerin, die mit ihrer Freundin zur gestrengen Lehrerin zitiert
worden ist, und ich ertappte mich dabei, wie ich ihr Lächeln erwiderte.
Elisabeth beherrschte die Kunst, mit einer leisen Neigung des Kopfes
Freundschaften herbeizuzaubern. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit der
älteren Schwester zu.
»Euer Gnaden befinden sich wohl?«
Lady Maria nickte, fragte dann in sehr kühlem Ton: »Du
wolltest mich sprechen?«
Sofort wurde das schöne Gesicht ernst. Lady Elisabeth machte
einen Kniefall und senkte demütig den Kopf, wobei sich der kupferrote
Schopf über ihre Schultern breitete. »Schwester, ich fürchte, ich habe
Euer Missfallen erregt.«
Lady Maria schwieg. Ich sah, wie sie sich die Geste versagte,
mit der sie ihre Halbschwester aufrichten wollte. Stattdessen wahrte
sie Distanz und ihren kühlen Ton. »Und weiter?«
»Mir will kein Anlass einfallen, zu dem ich Euch missfallen
habe, es sei denn, Ihr hegtet Misstrauen gegen meine Religion.«
»Du gehst nicht zur Messe«, bemerkte Lady Maria steif.
Der Rotschopf nickte. »Ich weiß. Ist es das, was Euch erzürnt?«
»Natürlich!«, erwiderte Lady Maria. »Wie kann ich dich als
Schwester lieben, wenn du den Glauben ablehnst?«
»Oh!«, stieß Elisabeth hervor. »Das hatte ich schon
befürchtet. Aber Schwester, Ihr missversteht mich. Ich will ja zur
Messe gehen. Aber ich habe Angst, mich ungeschickt anzustellen. Es ist
so töricht … aber versteht doch … ich wusste nicht,
wie ich es tun sollte.« Elisabeth hob das tränenüberströmte Gesicht zu
ihrer Schwester empor. »Niemand hat mich je gelehrt, was ich tun soll.
Ich bin nicht im Glauben erzogen worden wie Ihr. Niemand hat mich je
darin unterrichtet. Bedenkt doch, ich bin in Hatfield aufgewachsen,
dann lebte ich im Haushalt der Katharina Parr, und diese war überzeugte
Protestantin. Wie hätte ich jemals die Dinge lernen sollen, die Ihr
schon am Knie Eurer Mutter gelernt habt? Bitte Schwester, bitte
verurteilt mich nicht für ein Unwissen, dem ich nicht abzuhelfen weiß.
Als ich ein kleines Mädchen war und wir zusammenlebten, da habt auch
Ihr mich nichts über Euren Glauben gelehrt.«
»Damals war es mir verboten, ihn zu praktizieren!«, rief Lady
Maria aus.
»Dann könnt Ihr ja nachfühlen, wie es für mich gewesen ist«,
sagte Elisabeth eifrig. »Gebt nicht mir die Schuld für die Mängel
meiner Erziehung, Schwester.«
»Aber jetzt kannst du wählen«, sagte Lady Maria fest. »Du
lebst an einem freien Hofe. Du kannst wählen.«
Elisabeth zögerte. »Kann ich denn Unterweisung haben?«, fragte
sie. »Könnt Ihr mir Bücher empfehlen, könnte ich vielleicht mit Eurem
Beichtvater sprechen? Mir ist bewusst, dass ich so vieles nicht
verstehe. Werden Euer Gnaden mir helfen? Werden Euer Gnaden mir den
rechten Weg weisen?«
Es war unmöglich, ihr nicht zu glauben. Die Tränen auf ihren
Wangen waren echt, ihr Gesicht war gerötet. Zärtlich trat Lady Maria
vor, zärtlich streckte sie die Hand aus und legte sie auf Elisabeths
gebeugten Kopf. Die junge Frau erzitterte unter der Berührung. »Bitte,
zürnt mir nicht, Schwester«, hörte ich sie hauchen. »Ich bin ganz
allein auf der Welt, ich habe nur Euch.«
Maria legte ihrer Schwester die Hände auf die Schultern und
richtete sie auf. Elisabeth war normalerweise einen halben Kopf größer
als Maria, doch nun war sie vor Gram gebeugt und musste zu der älteren
Schwester aufschauen.
»Oh Elisabeth«, flüsterte Maria. »Wenn du nur deine Sünden
gestehen und dich dem wahren Glauben zuwenden wolltest – wie
glücklich würdest du mich machen! Alles, was ich will, alles, was ich
je gewollt habe, ist, dieses Land wieder dem wahren Glauben zuzuführen.
Und falls ich nicht heirate und du mir als jungfräuliche Königin
nachfolgst, als eine weitere katholische Prinzessin, was für ein
Königreich können wir dann gemeinsam errichten! Ich werde das Land zum
wahren Glauben zurückführen, und du wirst meine
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