Die Hofnärrin
tun: Ich sollte meinen Glauben widerrufen, da meine
fortwährende Weigerung den sicheren Tod bedeuten würde. Er wusste, sie
würden mich hinrichten lassen, wenn ich meinem Glauben nicht abschwor.
Aber Elisabeth brauchte doch nicht mehr zu tun, als die eigene Seele zu
retten und wieder meine kleine Schwester zu sein!«
»Euer Majestät …«, flüsterte ich. »Sie ist noch jung.
Sie wird es lernen.«
»So jung ist sie nicht mehr.«
»Sie wird es lernen …«
»Wenn sie lernen will, so wählt sie die falschen Lehrer. Sie
konspiriert gegen mich mit dem Königreich Frankreich, sie hat eine
Rotte von Männern angeheuert, die vor nichts zurückschrecken, nur,
damit sie den Thron erbt. Jeden Tag höre ich von einem neuen
schmutzigen Komplott, und jedes Mal lassen sich die Tentakel der
Verschwörung bis zu ihr verfolgen. Wenn ich sie heute betrachte, sehe
ich ein sündendurchtränktes Weib vor mir, wie auch ihre Mutter, die
Giftmischerin, eines war. Ich sehe fast, wie ihr Fleisch schwarz wird
ob der Sündhaftigkeit ihres Herzens. Ich sehe, wie sie der Heiligen
Mutter Kirche den Rücken zukehrt. Ich sehe, wie sie meine Liebe
ablehnt, ich sehe sie an der Schwelle von Verrat und Sünde.«
»Ihr habt gesagt, sie sei Eure kleine Schwester«, erinnerte
ich sie. »Ihr habt gesagt, Ihr liebtet sie wie Euer eigenes Kind.«
»Ich habe sie geliebt«, erwiderte die Königin bitter. »Mehr,
als sie weiß. Mehr, als ich sollte, da ich doch wusste, was ihre Mutter
der meinen antat. Ich habe sie geliebt. Aber sie ist nicht mehr das
Kind von einst. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das ich Lesen
und Schreiben gelehrt habe. Sie ist ein schlechter Mensch geworden, sie
hat sich verderben lassen. Sie badet in der Sünde. Ich kann sie nicht
retten: Sie ist eine Hexe und die Tochter einer Hexe.«
»Sie ist eine junge Frau«, wagte ich leisen Widerspruch.
»Keine Hexe.«
»Schlimmer als eine Hexe«, klagte die Königin. »Eine Ketzerin.
Eine Heuchlerin. Eine Hure. Ich habe Beweise, dass sie all dies ist.
Sie ist eine Ketzerin, weil sie zwar zur Messe geht, doch als geheime
Protestantin wendet sie den Blick vom Sakrament der Wandlung ab. Eine
Heuchlerin ist sie, weil sie nicht einmal zu ihrem Glauben steht. Es
gibt tapfere Männer und Frauen in diesem Land, die für ihren Irrglauben
den Märtyrertod sterben, doch Elisabeth gehört nicht zu ihnen. Als mein
Bruder Eduard auf dem Thron saß, war sie eine Lichtgestalt des
reformierten Glaubens. Sie war die protestantische Prinzessin in ihren
dunklen Roben und mit ihren weißen Kragen, mit ihrem niedergeschlagenen
Blick und weder Gold noch Perlen an Ohren oder Händen. Nun, da Eduard
tot ist, kniet sie neben mir, um das Sakrament der Wandlung, die
Auferstehung des heiligen Leibes zu sehen, und sie bekreuzigt sich
fleißig und knickst vor dem Altar, doch ich weiß, dass alles nur
Theater ist. Die Beleidigung gegen mich wiegt nichts, doch schlimm ist
die Beleidigung gegen meine Mutter, die von ihrer Mutter verdrängt
wurde, und die Beleidigung gegen die Heilige Kirche, eine Sünde gegen
Gott.
Und zu guter Letzt, Gott sei ihr gnädig, ist sie eine Hure
wegen dem, was sie mit Thomas Seymour gemacht hat. Die ganze Welt hat
es gewusst, aber die andere protestantische Hure hat die beiden
beschützt und ihr Geheimnis mit ins Grab genommen.«
»Von wem redet ihr?«, fragte ich. Ich war entsetzt und
gleichzeitig fasziniert. Das Mädchen in dem sonnendurchfluteten Garten
fiel mir wieder ein und der Mann, der es gegen einen Baum gedrückt und
mit einer Hand seinen Rock hochgeschoben hatte.
»Katharina Parr«, stieß Königin Maria zwischen den Zähnen
hervor. »Sie wusste, dass ihr Ehemann Thomas Seymour von Elisabeth
verführt worden war. Sie erwischte die beiden in Elisabeths
Schlafkammer, Elisabeth im Hemd und Lord Thomas über ihr. Katharina
Parr schickte Elisabeth aufs Land, weit weg vom Hofe. Sie ertrug den
unvermeidlichen Klatsch, sie leugnete alles. Sie beschützte das
Mädchen – was sie ja auch tun musste, denn Elisabeth gehörte
zu ihrem Haushalt. Sie schützte auch ihren Ehemann, und dann starb sie,
als sie sein Kind zur Welt brachte. Närrin. Närrische Frau!«
Sie schüttelte den Kopf und besann sich. »Arme Frau. Sie
liebte Thomas Seymour so sehr, dass sie ihn zum Manne nahm, bevor der
Leichnam meines Vaters im Grab kalt geworden war. Dadurch hat sie
Anstoß bei Hofe erregt und ihre hohe Stellung gefährdet. Und er vergalt
es ihr, indem er einer Vierzehnjährigen schmeichelte,
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