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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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die in ihrem
Hause lebte und unter ihrer Obhut stand. Und dieses Mädchen, meine
Elisabeth, meine kleine Schwester, wehrte seine Liebkosungen halbherzig
ab und schwor, sie würde sterben, wenn er sie noch einmal anfasste,
schloss jedoch niemals ihre Schlafzimmertür ab, beschwerte sich nie bei
ihrer Stiefmutter und bat nie um eine andere Unterkunft.
    Ich wusste davon. Meine Güte, der Klatsch tönte so laut, dass
selbst ich in meinem Refugium auf dem Lande davon hörte. Ich schrieb
ihr, sie solle zu mir kommen, ich hätte ein Heim, ich könne uns beide
versorgen. Sie antwortete mir sehr artig, sehr heiter. Sie schrieb, ihr
geschehe gar nichts, und sie brauche kein anderes Heim. Und während der
ganzen Zeit ließ sie ihn morgens in ihre Kammer, ließ ihn den Saum
ihres Kleides heben, sodass er sie im Hemde sehen konnte, und ein Mal,
Gott helfe ihr, ließ sie sogar zu, dass er ihr Kleid auszog, sodass sie
nackt vor ihm stand.
    Nie bat sie um Hilfe, obwohl sie wusste, dass ich sie sofort
zu mir genommen hätte. Schon damals also eine kleine Hure und heute
immer noch eine Hure – und ich wusste es, Gott möge mir
vergeben, ich hoffte, sie würde sich bessern. Ich dachte, wenn ich ihr
einen Platz an meiner Seite gäbe und den ihr zukommenden Respekt, dann
würde sie zu einer wahren Prinzessin heranwachsen. Ich dachte, eine
junge Hure könnte von diesem Weg wieder abgebracht werden, könnte
verändert werden, könnte gelehrt werden, Prinzessin zu sein. Doch sie
kann es nicht. Sie will es nicht. Du wirst schon sehen, wie sie sich in
Zukunft verhält, wenn ein neuer Schmeichler auftaucht.«
    »Euer Gnaden …« Ich war überwältigt von dem Hass, der
sich Bahn brach.
    Königin Maria atmete tief durch und wandte sich zum Fenster.
Sie lehnte ihre Stirn gegen die dicke Glasscheibe, und ich sah, wie die
Hitze aus ihrem Haar das Glas beschlug. Draußen herrschte
unerträglicher englischer Winter, und die Themse hinter dem grauen
Garten unter dem zinnfarbenen Himmel hatte eine Farbe von Eisen. Ich
sah das Gesicht der Königin im dicken Fensterglas gespiegelt wie eine
Kamee unter Wasser, ich sah die fieberhafte Energie, die in ihrem Leib
pulsierte.
    »Ich muss diesen Hass loswerden«, sagte sie leise. »Ich muss
den Schmerz loswerden, der mir durch ihre Mutter zugefügt wurde. Ich
muss sie verstoßen.«
    »Euer Gnaden …«, wiederholte ich verzweifelt.
    Die Königin wandte sich wieder zu mir um.
    »Wenn ich ohne Nachkommen sterbe, wird sie meine
Nachfolgerin«, stellte sie nüchtern fest. »Diese verlogene Hure. Alles,
was ich erreicht habe, wird von ihr zerstört und verdorben werden.
Alles in meinem Leben ist mir von ihr geraubt worden. Ich bin Englands
einzige Prinzessin und der Augapfel meiner Mutter – und
plötzlich, einen Wimpernschlag später, diene ich in Elisabeths
Kinderstube als Magd, und meine Mutter ist verstoßen und stirbt.
Elisabeth, die Tochter der Hure, ist die Verdorbenheit in Person. Ich
muss ein Kind bekommen, das zwischen ihr und der Krone steht. Dies ist
die vornehmste Pflicht, die ich meinem Lande, meiner Mutter und mir
selber schulde.«
    »Ihr werdet Philipp von Spanien heiraten müssen?«
    Sie nickte. »Er ist so gut wie jeder andere«, erwiderte sie.
»Mit ihm kann ich einen Vertrag schließen, der nicht gebrochen wird.
Mit einem Mann wie ihm kann ich Königin und Ehefrau sein. Er hat sein
eigenes Land, sein eigenes Vermögen, er braucht unser kleines England
nicht. Und dann kann ich Königin im eigenen Lande sein und seine
Ehefrau und Mutter seiner Kinder.«
    Etwas an der Art, wie sie ›Mutter‹ sagte, rührte mich. Ich
hatte ihre Hand auf meinem Kopf gespürt, ich hatte gesehen, wie sie mit
den Kindern umging, die uns aus schäbigen Hütten entgegengestürzt waren.
    »Nun, Ihr sehnt Euch nach einem eigenen Kind!«, rief ich aus.
    Das Verlangen nach einem Kind war an ihren Augen abzulesen.
Sie wandte sich ab und schaute wieder aus dem Fenster auf den kalten
Fluss. »Oh ja«, sprach sie leise zu dem kalten Garten. »Seit zwanzig
Jahren sehne ich mich nach einem eigenen Kind. Deshalb habe ich meinen
armen Bruder so sehr geliebt. Wegen des Hungers meines Herzens habe ich
sogar Elisabeth geliebt, als sie noch ein Baby war. Vielleicht wird
Gott in seiner Güte mir nun einen eigenen Sohn schenken.« Sie sah mich
an. »Du hast doch das zweite Gesicht. Werde ich ein Kind bekommen,
Hannah? Werde ich ein eigenes Kind haben, das ich in meinen Armen
halten und lieben kann? Ein Kind, das groß werden und

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