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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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nicht
mehr retten können. Mich werden sie nicht überrumpeln, ich lasse mich
nicht kampflos fangen.«
    »Nun, wohin sollten wir denn fliehen?«, fragte ich. Wieder
verspürte ich dieses furchtbar leere Gefühl in der Magengrube, dieses
Gefühl, dass es nirgendwo Sicherheit gab, dass ich stets den Klang von
Schritten auf der Treppe erwarten müsste und den Geruch von Rauch in
der Nase haben würde.
    »Zuerst nach Amsterdam, von dort nach Italien«, erwiderte er
standhaft. »Du und ich, wir werden heiraten, sobald wir nach Amsterdam
kommen, und dann auf dem Landweg weiterreisen. Wir werden alle zusammen
reisen. Dein Vater und meine Mutter und meine Schwestern kommen mit.
Ich kann mein Studium der Medizin in Italien beenden, und es gibt
italienische Städte, die Juden dulden, in denen wir uns unseres
Glaubens nicht schämen müssen. Dein Vater kann seine Bücher verkaufen,
und meine Schwestern könnten Arbeit finden. Wir werden als eine große
Familie zusammenleben.«
    »Seht, wie er Pläne für die Zukunft schmiedet«, flüsterte Mrs.
Carpenter in beifälligem Ton meinem Vater zu. Auch dieser lächelte
Daniel an, als sei der junge Mann die Lösung aller Probleme.
    »Wir sind einander erst für nächstes Jahr versprochen«,
protestierte ich. »Ich bin noch nicht bereit zur Ehe.«
    »Oh nein, nicht das schon wieder!«, klagte mein Vater.
    »So denken alle jungen Mädchen«, bemerkte Mrs. Carpenter.
    Daniel sagte nichts.
    Ich rutschte von meinem Schemel. »Können wir allein reden?«,
fragte ich.
    »Geht in die Druckerei«, empfahl mein Vater. »Deine Mutter und
ich werden hier noch ein Glas Wein trinken.«
    Er schenkte nach, und ich sah kurz ihr belustigtes Lächeln,
als Daniel und ich in das Hinterzimmer gingen, wo die große
Druckerpresse stand.
    »Mr. Dee meint, ich würde die Gabe des zweiten Gesichts
verlieren, wenn ich heirate«, erklärte ich inbrünstig. »Er glaubt, es
sei eine Gabe Gottes, und ich dürfe sie nicht leichtfertig wegwerfen.«
    »Es ist nichts als Ratespiel und Wachtraum«, erklärte Daniel
rundweg.
    Dies kam meiner eigenen Auffassung so nahe, dass ich kaum
widersprechen konnte. »Es übersteigt unser Verständnis«, sagte ich
kühn. »Mr. Dee will mich als seinen Kristallseher haben. Er ist
Alchemist, und er sagt …«
    »Das klingt mir arg nach Hexerei. Wenn Philipp von Spanien
nach England kommt, wird John Dee als Hexer angeklagt werden.«
    »Wird er nicht. Er vollbringt ein heiliges Werk. Er betet vor
und nach dem Spiegelsehen. Es ist eine heilige, spirituelle Aufgabe.«
    »Und was hast du bis jetzt daraus gelernt?«, fragte er
ironisch.
    Ich dachte an all die Geheimnisse, die ich bereits kannte: das
Kind, das kein Kind sein würde, die Jungfrau, die keine Königin war,
die Königin, die keine Jungfrau war, und die Sicherheit und
Herrlichkeit, die meinem Gebieter zuteil werden würde. »Es gibt
Geheimnisse, die ich dir nicht verraten darf«, sagte ich wichtig. »Und
dies ist ein weiterer Grund, warum ich nicht deine Frau sein kann. Es
sollte keine Geheimnisse zwischen Mann und Frau geben.«
    Daniel entfuhr ein ärgerlicher Ausruf. »Versuch nicht, bei mir
die Neunmalkluge zu spielen«, mahnte er. »Du hast mich vor meiner
Mutter und vor deinem Vater gekränkt, indem du gesagt hast, du wolltest
überhaupt nicht heiraten. Nun komm mir nicht damit, du müssest zurück
an den Hof, weil du es versprochen hast. Du bist so voller List, dass
du dich noch um dein Glück reden und ins Herzeleid bringen wirst.«
    »Wie könnte ich glücklich sein, wenn ich ein Niemand werden
muss?«, fragte ich. »Ich bin der Liebling der Königin Maria, ich werde
hoch bezahlt. Ich könnte Bestechungen und Gefälligkeiten im Wert von
hunderten Pfund annehmen. Die Königin höchstselbst vertraut mir. Der
größte Denker des Landes glaubt, dass ich eine von Gott geschenkte Gabe
besitze, die Zukunft vorherzusagen. Und du denkst, mein Glück läge
darin, all dies hinter mir zu lassen, um einen Mann zu heiraten, der
eben erst lernt, Arzt zu werden!«, sagte ich und rang verzweifelt die
Hände.
    Er hielt meine Hände fest und zog mich an sich. Auch sein Atem
ging hastig. »Genug!«, herrschte er mich an. »Genug der Kränkung, sage
ich! Du brauchst keinen angehenden Arzt zu heiraten, sondern kannst
gern Robert Dudleys Hure werden oder die Eingeweihte seines Tutors.
Meinetwegen halte dich für die Gefährtin der Königin, obwohl alle
anderen in dir nur die Hofnärrin sehen. Du erniedrigst dich, statt mein
Angebot anzunehmen.

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