Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Alles, was ich tun musste, war, ihm die
Wahrheit zu sagen.
    »Daniel, dies ist die Wahrheit. Ich habe den Tod des Königs
vorausgesehen, ich nannte seinen Todestag. Ich habe vorausgesehen, dass
Jane zur Königin gekrönt werden würde. Ich habe gesehen, dass Lady
Maria Königin wird, und ich habe auch einen Blick auf ihre Zukunft
erhaschen können – sie wird ihr das Herz brechen –
und auf die Zukunft Englands, die mir nicht ganz klar ist. John Dee
meint, ich besitze die Gabe des zweiten Gesichts. Er sagt, das komme
teilweise daher, dass ich Jungfrau bin, und deshalb möchte ich meine
Unschuld erhalten. Trotzdem will ich dich heiraten. Und ich begehre
dich. Aber ich kann auch nicht gegen meine Liebe zu Lord Robert an. All
dies – alles zugleich.« Ich drückte meine Stirn gegen seine
Brust, spürte die harten Knöpfe seiner Jacke und dachte peinlich
berührt, dass er, wenn ich aufblickte, die Abdrücke dieser Knöpfe auf
meiner Haut sehen würde, sodass ich nicht begehrenswert, sondern dumm
aussähe. Dennoch verharrte ich in dieser Haltung, eng an ihn gepresst,
während er meiner fieberhaften Erklärung lauschte. Eine Weile später
schob er mich zurück und sah mir forschend in die Augen.
    »Ist sie denn eine schickliche Liebe, diese Liebe einer
Dienerin zu ihrem Gebieter?«, fragte er.
    Ich schlug vor seinem ernsten Blick die Augen nieder. Er
drückte mein Kinn hoch. »Sag es mir, Hannah. Du sollst meine Frau
werden. Ich habe ein Recht, es zu erfahren. Ist es eine schickliche
Liebe?«
    Meine Lippe zitterte, Tränen traten mir in die Augen. »Es ist
alles so verworren«, bekannte ich mit schwacher Stimme. »Ich liebe ihn
für das, was er ist …« Ich brach ab, denn es war unmöglich,
Daniel das Begehrenswerte an Robert Dudley zu vermitteln: sein
Aussehen, seine Kleider, sein Reichtum, seine Stiefel, seine Pferde
entzogen sich meiner Beschreibung. »Er ist … wunderbar.« Ich
wagte nicht, ihm in die Augen zu schauen. »Ich liebe ihn für das, was
er einmal sein wird – er wird freikommen, und dann wird er ein
großer Mann sein, Daniel, ein großer Mann. Er wird einen Prinzen von
England hervorbringen. Doch noch sitzt er im Tower, wartet auf das
Todesurteil – und ich denke an ihn, und ich erinnere mich, wie
meine Mutter auf den Morgen gewartet hat, als sie sie
holten …« Meine Stimme versagte. »Er ist Gefangener wie sie.
Er steht an der Schwelle des Todes, so wie sie. Natürlich liebe ich
ihn.«
    Daniel hielt mich noch einige Zeit, dann schob er mich kühl
von sich weg. Ich spürte förmlich, wie die eisige Luft in der Druckerei
zwischen uns kam. »Er ist nicht wie deine Mutter. Er sitzt nicht seines
Glaubens wegen im Kerker«, bemerkte er ruhig. »Nicht die Inquisition
stellt ihn vor Gericht, sondern eine Königin, die nach deinen Worten
klug und barmherzig ist. Es gibt keinen Grund, einen Mann zu lieben,
der eine Verschwörung angezettelt und Hochverrat begangen hat. Er hätte
Lady Jane auf den Thron gesetzt und die Herrin, die du angeblich so
liebst, köpfen lassen. Er ist kein Mann von Ehre.«
    Ich öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch es gab
nichts, was ich zu Lord Roberts Gunsten anführen konnte.
    »Und du bist mit Haut und Haar in seine Angelegenheiten
verwickelt, in seine Methoden, seine Komplotte und deine Gefühle. Ich
möchte es nicht Liebe nennen, denn wenn ich auch nur einen Moment
glaubte, dass es mehr wäre als die Vernarrtheit eines jungen Mädchens,
würde ich sofort zu deinem Vater gehen und die Verlobung lösen. Aber
eines will ich dir sagen: Du musst den Dienst bei Lord Robert aufgeben,
einerlei, welche Zukunft du für ihn siehst. Du musst John Dee meiden
und auf deine Gabe verzichten. Du kannst der Königin bis zum Alter von
sechzehn Jahren dienen, musst jedoch meine Verlobte bleiben. Und in
achtzehn Monaten, wenn du sechzehn geworden bist, werden wir heiraten
und du verlässt den Hof.«
    »Achtzehn Monate?«, wiederholte ich mit sehr leiser Stimme.
    Daniel hob meine Hand an den Mund und biss mich in den
geschwollenen Venusberg an meiner Daumenwurzel – die Stelle,
deren pralles Fleisch den Jahrmarktwahrsagern verrät, dass eine Frau
zur Liebe bereit ist.
    »Achtzehn Monate«, sagte er kategorisch. »Oder ich schwöre,
ein anderes Mädchen zur Frau zu nehmen und dich deinem Schicksal zu
überlassen – ob es nun der Wahrsager, der Verräter oder die
Königin bestimmt.«
    Es war ein eisiger Winter, und nicht einmal
Weihnachten konnte den Menschen Freude bringen.

Weitere Kostenlose Bücher