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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Du könntest die Frau eines ehrenhaften Mannes sein,
der dich liebt, doch stattdessen wirfst du dich weg in die Gosse, wo
jeder Passant dich aufheben kann.«
    »Das tue ich nicht!«, keuchte ich und versuchte, ihm meine
Hände zu entziehen.
    Unvermittelt drückte er mich an sich, schlang seine Arme um
meine Taille. Sein dunkler Kopf senkte sich, sein Mund suchte den
meinen. Ich roch seine Haarpomade und seine Haut. Ich fuhr zurück,
selbst als ich das Verlangen aufkeimen fühlte.
    »Liebst du einen anderen Mann?«, fragte er gepresst.
    »Nein«, log ich.
    »Schwörst du bei allem, was dir heilig ist – was
immer es auch sei –, dass du frei bist, mich zu heiraten?«
    »Ich bin frei, dich zu heiraten«, sagte ich ganz ehrlich, da
Gott so gut wusste wie ich, dass niemand sonst mich haben wollte.
    »Ist das dein Ehrenwort?«, insistierte er.
    Ich hätte ihn vor Wut anspucken mögen. »Natürlich ist das mein
Ehrenwort«, gab ich zurück. »Habe ich dir nicht gerade gesagt, dass
meine Gabe von meiner Unschuld abhängt? Und habe ich nicht gesagt, dass
ich diese niemals aufs Spiel setzen würde?« Ich wollte mich losreißen,
doch er ließ mich nicht los. Gegen meinen Willen begann ich ihn zu
spüren: seine starken Arme und Schenkel, die gegen die meinen drückten,
seinen Geruch – und aus irgendeinem seltsamen Grund
vermittelte mir das alles ein Gefühl der absoluten Sicherheit. Ich
musste mich von ihm losreißen, um nicht nachzugeben. Mir wurde bewusst,
dass ich mich an ihn schmiegen wollte, meinen Kopf an seine Schulter
legen. Er sollte mich an sich gedrückt halten, damit ich mich in
Sicherheit wiegen konnte. Wenn ich seine Liebe nur zulassen könnte,
wenn ich mir doch nur erlauben könnte, ihn zu lieben!
    »Wenn sie die Inquisition ins Land rufen, müssen wir fliehen,
das weißt du.« Sein Griff war noch fester geworden. Ich spürte seine
Hüfte an meinem Bauch und musste mich zurückhalten, um mich nicht auf
die Zehenspitzen zu stellen und mich an ihn zu schmiegen.
    »Ja, das weiß ich«, erwiderte ich, nur halb zuhörend. Ich
spürte ihn mit jedem Zoll meines Körpers.
    »Wenn wir fliehen, musst du als mein Weib mitkommen, ich werde
dich und deinen Vater unter keiner anderen Bedingung mitnehmen.«
    »Ja.«
    »Dann sind wir uns einig?«
    »Wenn wir England verlassen müssen, heirate ich dich«, sagte
ich.
    »Und in jedem Fall heiraten wir, sobald du sechzehn bist.«
    Ich nickte, die Augen geschlossen. Dann spürte ich, wie sich
sein Mund auf meinen senkte, und ich spürte, wie sein Kuss jeglichen
Hinderungsgrund hinwegschmolz.
    Daniel gab mich frei, und ich lehnte mich an die
Druckerpresse, um mich auf den Beinen zu halten. Er lächelte, als ob er
wüsste, dass ich vor Verlangen wie benommen war. »Was Lord Robert
angeht, so bitte ich dich, ihm nicht länger zu dienen«, sagte er. »Er
ist ein verurteilter Verräter, er sitzt im Gefängnis, und du bringst
dich und uns in Gefahr, wenn du weiter Umgang mit ihm hast.« Sein Blick
wurde finster. »Und er ist kein Mann, den ich bei meiner Verlobten
sehen möchte.«
    »Für ihn bin ich ein Kind und ein Hofnarr«, entgegnete ich.
    »Doch beides bist du nicht«, sagte er zärtlich. »Und ich auch
nicht. Du bist ein wenig verliebt in ihn, Hannah, und ich kann das
nicht dulden.«
    Ich zögerte, bereit zum Widerspruch, doch da überkam mich das
bisher seltsamste Gefühl meines Lebens: das Bedürfnis, jemandem die
Wahrheit zu sagen. Nie zuvor hatte ich den Wunsch gehabt, ehrlich zu
sein, denn mein ganzes bisheriges Leben war ein Lügengewebe gewesen:
eine Jüdin in einem Christenland, ein Mädchen in den Kleidern eines
Knaben, eine leidenschaftliche junge Frau in den Gewändern eines
heiligen Narren, und nun eine junge Frau, die mit dem einen Mann
verlobt war, jedoch einen anderen liebte.
    »Wenn ich dir die Wahrheit über eine bestimmte Sache sage,
wirst du mir dann helfen?«, fragte ich.
    »Ich werde dir helfen, so gut ich es vermag«, versicherte er.
    »Daniel, mit dir zu reden ist wie Feilschen mit einem
Pharisäer.«
    »Hannah, mit dir zu reden ist wie Fischen im See Genezareth.
Was willst du mir sagen?«
    Ich wollte mich abwenden, aber er nahm meinen Arm und zog mich
wieder zu sich heran. Sein Körper presste sich gegen meinen, ich spürte
seine Härte, und plötzlich begriff ich – ein älteres Mädchen
hätte schon längst begriffen –, dass ich nun mit der Münze des
körperlichen Verlangens zahlte. Er war mein Verlobter. Er begehrte
mich. Ich begehrte ihn.

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