Die Hofnärrin
Jeden Tag hörte die
Königin von neuen kleinlichen Klagen und Aufständen in allen
Grafschaften des Landes. Die Ereignisse waren für sich genommen
trivial, kaum einer Erwähnung wert: Der spanische Gesandte war mit
Schneebällen beworfen worden, eine tote Katze war in eine Kirche
geschleudert worden, auf einer Mauer waren beleidigende Worte
erschienen, eine Frau hatte auf einem Kirchhof das Jüngste Gericht
prophezeit – einzelne Vorkommnisse wie diese jagten den
Pfarrern oder den Lords der Grafschaften noch keine Angst ein.
Zusammengenommen jedoch waren sie die unmissverständlichen Anzeichen
einer weit verbreiteten Unruhe im Land.
Die Königin hielt das Weihnachtsfest in Whitehall ab. Sie
ernannte einen Meister der Spaßmacher und befahl, das Fest solle so
fröhlich gefeiert werden wie früher, doch diese Maßnahme schlug fehl.
Die leeren Plätze beim Festbankett verrieten die Wahrheit. Lady
Elisabeth kam nicht einmal zu Besuch, sondern blieb in Ashridge, ihrem
Landsitz an der Great North Road, einem ideal gelegenen Ort, um schnell
auf London vorzurücken, falls der Befehl dazu erging. Ein halbes
Dutzend Mitglieder des Kronrats war abwesend, ohne einen Grund dafür
angegeben zu haben, und auch der französische Gesandte war überaus
beschäftigt, was einem guten Christen zur Weihnachtszeit nicht zu
Gesicht stand. Es war deutlich, dass die Unruhen bis zum Thron
hochkochen würden, und die Königin wusste es so gut wie wir alle.
Der Lordkanzler Bischof Gardiner und der spanische Gesandte
rieten der Königin, sie solle in den Tower ziehen und das Land auf den
Krieg vorbereiten, oder besser noch London ganz verlassen und Schloss
Windsor für eine Belagerung befestigen. Doch die Entschlossenheit, die
mich schon damals auf unserem Ritt quer durchs Land für sie eingenommen
hatte, ergriff wieder von ihr Besitz, und sie schwor, sie werde nicht
am ersten Weihnachtsfest ihrer Regentschaft aus dem eigenen Palast
flüchten. Seit knapp drei Monaten sei sie Englands gesalbte
Königin – ob sie sich etwa verkriechen solle wie Jane Gray?
Sollte sie sich und ihren schwindenden Hofstaat im Tower einschließen,
während eine andere, äußerst populäre Prinzessin ein Heer um sich
sammelte und den Marsch auf London vorbereitete? Maria schwor, sie
werde von Weihnachten bis Ostern in Whitehall bleiben und die Gerüchte
über ihre Niederlage Lügen strafen.
»Aber es ist dennoch nicht sehr lustig, Hannah, nicht wahr?«,
sagte sie traurig zu mir. »Mein ganzes Leben lang habe ich auf diese
Weihnachten gewartet, und nun scheint es, als hätten die Menschen
vergessen, wie man fröhlich ist.«
Wir befanden uns in ihren Gemächern, waren jedoch nicht
allein. Jane Dormer saß am Erkerfenster, um das letzte Licht des trüben
grauen Nachmittags für ihre Näharbeit zu nutzen. Eine der Damen spielte
auf der Laute ein klagendes Lied, und eine andere legte Stickfäden
zurecht und wickelte sie von der Docke. Die Stimmung war alles andere
als fröhlich. Man hätte meinen können, dies sei der Hof einer Königin
an der Schwelle des Todes, nicht am Vorabend einer Heirat.
»Nächstes Jahr wird es besser sein«, antwortete ich. »Wenn Ihr
verheiratet seid, wenn Prinz Philipp bei Euch ist.«
Die bloße Erwähnung seines Namens brachte Farbe auf ihre
blassen Wangen. »Pst!«, mahnte sie strahlend. »Es wäre falsch, so etwas
von ihm zu erwarten. Er wird sich oft in seinen anderen Königreichen
aufhalten müssen. Auf der ganzen Welt gibt es kein größeres Reich als
das, das er dereinst erben wird.«
»Ja«, sagte ich, an die Feuer des Autodafé denkend. »Ich weiß,
wie mächtig das spanische Reich ist.«
»Natürlich weißt du das«, rief sie, da ihr meine Herkunft
wieder einfiel. »Und wir sollten von jetzt an spanisch sprechen, um
meinen Akzent zu verbessern. Wir fangen gleich damit an.«
Jane Dormer blickte auf und lachte. »Ach, wir müssen noch früh
genug spanisch sprechen!«
»Er wird es uns nicht vorschreiben«, beeilte sich die Königin
zu sagen – immer auf der Hut vor Spionen, selbst in ihren
Privatgemächern. »Er will nur das Beste für die Engländer.«
»Das weiß ich doch«, sagte Jane beschwichtigend. »Es war nur
ein Scherz, Euer Hoheit.«
Die Königin nickte, blickte jedoch immer noch besorgt. »Ich
habe Lady Elisabeth geschrieben, dass sie zum Hof zurückkehren soll«,
sagte sie. »Sie muss zum Weihnachtsbankett kommen, ich hätte nicht
zulassen sollen, dass sie uns verlässt.«
»Nun, sie trägt ja nicht gerade
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