Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Die einen rieten ihr, die
Heirat abzusagen und sich zu einer Ehe mit einem protestantischen
Prinzen zu verpflichten, die anderen flehten sie an, die Spanier zu
Hilfe zu rufen und den Aufstand mit gnadenloser Härte niederzuschlagen,
ein Exempel zu statuieren.
    »Womit ich allen dann beweise, dass ich doch nicht allein
regieren kann!«, rief die Königin aus.
    Thomas Wyatts Heer, dem die Freiwilligen aus jedem Dorf an der
Straße nach London zuströmten, erreichte in einer Woge von Begeisterung
das Südufer der Themse. Hier kam es jedoch zu einem Halt, denn die
London Bridge war hochgezogen worden, und die Geschütze des Towers
waren geladen und warteten bereits auf die Aufrührer.
    »Sie dürfen kein Feuer eröffnen«, befahl die Königin.
    »Aber Euer Majestät, um Gottes willen …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Soll ich etwa das Feuer auf
Southwark eröffnen – auf ein Dorf, das mich so froh als
Königin begrüßte? Niemals werde ich auf die Menschen von London
schießen lassen.«
    »Die Rebellen kampieren in Reichweite unserer Kanonen. Wir
könnten das Feuer eröffnen und sie mit einer einzigen Kanonade
vernichten.«
    »Sie werden an Ort und Stelle bleiben, bis wir ein Heer
aufgestellt haben, das sie vertreibt.«
    »Euer Majestät haben kein Heer. Ihr werdet niemanden finden,
der für Euch kämpft.«
    Die Königin war blass, doch sie wankte keinen Augenblick in
ihrer Entschlossenheit. »Noch habe ich kein Heer«,
sagte sie betont. »Doch ich werde eines aus den treuesten Männern
Londons zusammenstellen.«
    Die feindliche Streitmacht lagerte also unbehelligt am Südufer
der Themse und wurde mit jedem Tag stärker. Ungerührt legte die Königin
ihr prächtiges Staatsgewand an und begab sich in die Guildhall, das
Londoner Rathaus, um vor dem Bürgermeister und den Londoner Bürgern zu
sprechen. Jane Dormer, die anderen Hofdamen und ich gingen in ihrem
Gefolge, prächtig gekleidet und mit zuversichtlicher Miene, obwohl wir
wussten, dass wir einer Katastrophe entgegengingen.
    »Ich weiß nicht, warum du mitkommen musst«, bemerkte einer der
alten Männer des Kronrats in anzüglichem Ton. »Sind doch ohnehin genug
Narren in ihrem Gefolge.«
    »Aber ich bin ein heiliger Narr, eine Zunge der Unschuld«, gab
ich trotzig zurück. »Unschuldig sind hier die wenigsten – Ihr
ganz gewiss nicht, möchte ich meinen.«
    »Ich bin schon ein Narr, weil ich überhaupt dabei bin«, sagte
er bitter.
    Von allen Mitgliedern des Kronrats und besonders von allen
Ehrendamen hegten nur Jane und ich die Hoffnung, lebend aus London
herauszukommen, aber wir hatten Maria ja in Framlingham erlebt und
wussten, dass dies eine Königin war, die sich gegen alle Widerstände zu
verteidigen wusste. Wir hatten bereits das Blitzen ihrer dunklen Augen
und ihre stolze Haltung im Angesicht der Gefahr erlebt. Wir hatten
gesehen, wie sie sich die Krone aufgesetzt und sich im Spiegel
angelächelt hatte. Wenn diese Königin, zusammen mit ihrem Gott, einer
drohenden Katastrophe gegenüberstand, dann wuchs sie über sich
hinaus – wenn der Feind vor den Toren Londons stand, konnte
man sich keine bessere Königin wünschen.
    Dennoch hatte ich Angst. Ich hatte gesehen, wie Männer und
Frauen einem gewaltsamen Tod überantwortet worden waren, ich hatte den
Rauch der Scheiterhaufen gerochen, auf denen die Ketzer verbrannt
wurden. Im Gegensatz zu den meisten Hofdamen wusste ich, was uns
erwartete.
    »Kommst du mit mir, Hannah?«, fragte sie freundlich, während
sie die Stufen zur Guildhall hinaufstieg.
    »Oh ja, Euer Gnaden«, erwiderte ich mit blutleeren Lippen.
    Im Rathaus war ein Thron für sie aufgestellt worden. Halb
London war gekommen, um zu hören, was die Königin zu sagen hatte. Als
sie sich erhob – eine kleine Gestalt unter der schweren
Goldkrone, fast erstickt von der schweren Staatsrobe – dachte
ich einen Moment, sie würde nicht fähig sein, die Menschen davon zu
überzeugen, ihr die Treue zu halten. Sie wirkte zu verletzlich, sie
wirkte wie eine Frau, die tatsächlich einen Mann als Gebieter brauchte.
    Die Königin öffnete den Mund, aber kein Laut drang heraus.
»Mein Gott, mach, dass sie spricht.« Ich dachte, es hätte ihr vor Angst
die Sprache verschlagen; sie schien nicht fähig zu sein, für sich
selbst einzutreten. Doch es dauerte nur einen Augenblick. Dann schallte
ihre Stimme durch den Saal, laut und doch klar und lieblich wie die
Stimme einer Sängerin beim Weihnachtschoral.
    Sie sprach in schlichten Worten zu ihren Bürgern.

Weitere Kostenlose Bücher