Die Hofnärrin
Ton. »Ich
werde keinen Bürgerkrieg auf meinen Weizenfeldern entfesseln, besonders
nicht in diesen Hungerzeiten. Diese Rebellen müssen ausgerottet werden
wie Ungeziefer, doch ich wünsche nicht, dass bei der Jagd Unschuldige
zu Tode kommen.«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte der Herzog
erneut Einspruch erheben. Die Königin beugte sich zu ihm vor. »Vertraut
mir«, sagte sie beschwörend. »Ich weiß es. Ich bin eine jungfräuliche
Königin, und meine Kinder sind das Volk. Sie müssen verstehen, dass ich
sie liebe und mich um sie sorge. Ich kann nicht auf einer Flutwelle
ihres unschuldigen Blutes Hochzeit halten. Diese Sache muss mit Umsicht
und Straffheit vollbracht werden, und sie muss mit einem Schlage getan
werden. Werdet Ihr also in meinem Sinne handeln?«
Der Herzog schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er kurz. Er war
zu besorgt, um Zeit mit Schmeicheleien zu verschwenden. »Das vermag
niemand. Sie scharen Hunderte, ja Tausende um sich. Diese Menschen
verstehen nur eine Sprache, die Sprache der Gewalt. Galgen am Kreuzweg,
Pfähle, auf welche die Köpfe der Hingerichteten gespießt sind. Ihr
könnt nicht über Engländer herrschen und dabei Milde walten lassen,
Euer Hoheit.«
»Ihr irrt«, gab sie ihm zu verstehen, wich keinen Zoll von
ihrem Entschluss ab. »Ich bin durch ein Wunder auf diesen Thron
gekommen, und Gott ändert seine Meinung nicht. Wir werden diese
Menschen mit Gottes Hilfe zurückgewinnen. Ihr müsst tun, wie ich Euch
befehle. Es muss in Gottes Sinn getan werden, sonst kann Sein Wunder
nicht stattfinden.«
Der Herzog sah aus, als hätte er gern widersprochen.
»Ihr steht unter meinem Befehl«, wiederholte sie kategorisch.
Er zuckte die Achseln und verneigte sich. »Wie Euer Gnaden
befehlen«, sagte er. »Wie auch immer die Folgen aussehen mögen.«
Sie blickte mich über seinen gebeugten Kopf hinweg an. Ihr
Gesicht hatte einen sonderbaren Ausdruck, so, als frage sie mich nach
meiner Meinung. Ich machte eine kleine Verbeugung. Ich wollte nicht,
dass sie merkte, welch schreckliche Angst mich ergriffen hatte.
Winter
1554
S päter sollte ich
noch oft wünschen, ich
hätte sie gewarnt. Der Herzog von Norfolk scharte Rekruten der Londoner
Stadttruppen und die königliche Garde um sich und zog nach Kent, um
Wyatts Streitmacht in einem vernichtenden Kampf zu schlagen. Doch in
dem Moment, als unser Heer auf Wyatts Soldaten traf und die Ergebenheit
und Entschlossenheit des Gegners gewahrte, warfen unsere Mannen, obwohl
sie geschworen hatten, ihre Königin zu beschützen, begeistert ihre
Kappen in die Luft und riefen: »Wir sind alle Engländer!«
Es fiel kein einziger Schuss. Sie umarmten einander als Brüder
und stellten sich gegen ihren Befehlshaber, vereinten sich gegen die
Königin. Der Herzog, der von Glück sagen konnte, dass er mit dem Leben
davongekommen war, eilte zurück nach London. Er hatte Wyatt sogar noch
in die Hände gearbeitet, indem er dessen zusammengewürfeltem Haufen
eine reguläre Truppe angliederte – und diese gesammelte
Streitmacht rückte nun noch rascher und entschlossener vor, bis sie vor
den Toren Londons stand.
Die Matrosen der Kriegsschiffe auf dem Medway desertierten
geschlossen zu Wyatt und ließen die Königin im Stich. Sie wurden
vereint durch ihren Hass auf Spanien und den Wunsch nach Krönung einer
protestantischen Königin. Sie nahmen sich Waffen von den Schiffen und
aus den Magazinen und brachten im Übrigen ihre Erfahrung als
kampferprobte Männer mit. Ich erinnerte mich an die Ankunft der
Schiffsmannschaften aus Yarmouth in Framlingham, die unsere damalige
Lage vollkommen verändert hatte. Als die Matrosen sich uns anschlossen,
wussten wir, dass dies der Kampf des Volkes war und dass ein vereintes
Volk nicht besiegt werden konnte. Nun war wieder ein Zusammenschluss
erfolgt, aber diesmal gegen uns. Nachdem Königin Maria die Nachricht
von der Desertion der Matrosen gehört hatte, glaubte ich, sie würde nun
ihre Niederlage einsehen.
Sie berief einen stark dezimierten Kronrat ein. Den
Sitzungssaal durchzog der säuerliche Geruch der Angst.
»Die Hälfte von ihnen ist auf ihre Landsitze geflüchtet«,
murmelte die Königin Jane Dormer zu, während sie die leeren Sitze
musterte. »Nun schreiben sie wahrscheinlich schon an Elisabeth und
versuchen, die Waage zu ihren Gunsten zu eichen und sich auf die
Gewinnerseite zu schlagen.«
Sie wurde geradezu mit Ratschlägen überhäuft. Die Meinungen
der am Hofe gebliebenen Räte waren geteilt:
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