Die Hofnärrin
Sie erzählte
die Geschichte des Thronerbes, das sie angetreten hatte: Als Tochter
des Königs beanspruche sie die Macht, die ihr Vater innegehabt hatte,
und die Treue ihres Volkes. Sie erinnerte ihre Zuhörer, dass sie eine
Jungfrau ohne eigene Kinder sei und ihr Volk liebe, wie nur eine Mutter
ihre Kinder lieben könne. Sie liebe es als Herrin, und da ihre Liebe so
stark sei, könne es keinen Zweifel geben, dass diese Liebe erwidert
werde.
Sie verführte die Menge. Unsere Maria, die wir in der Zeit
ihres erzwungenen Hausarrests nur krank, geplagt und bemitleidenswert
erlebt hatten, die uns ein einziges Mal als Befehlshaberin einer
Streitmacht vorangezogen war – diese Maria sprach nun zu den
Leuten und glühte mit einer Leidenschaft, deren Funke übersprang und
auch ihre Zuhörer ansteckte. Sie schwor, sie werde zum Wohl ihres
Volkes heiraten, nur, um ihnen einen Erben zu schenken, und wenn sie
nicht glaubten, dass dies die beste Wahl sei, so werde sie
unverheiratet bleiben und ihre Tage als jungfräuliche Königin
beschließen. Denn sie sei die Königin – gleichviel, ob sie
einen Ehemann an ihrer Seite habe oder nicht. Wichtig sei allein der
Thron, der ihr gebühre, und das Erbe, das bald das ihre sein werde.
Nichts sonst sei wichtig. Nichts sonst könne jemals wichtig sein. Sie
werde sich der Entscheidung ihres Volkes in Bezug auf ihre Heirat und
alles Übrige beugen. Sie werde auch ohne Mann an ihrer Seite regieren
können. Sie gehöre ihrem Volk, so wie das Volk ihr gehöre, und nichts
könne jemals etwas daran ändern.
Ich ließ meinen Blick durch den Saal schweifen und sah, wie
die Leute zu lächeln begannen, dann breitete sich zustimmendes Nicken
aus. Diese Männer waren ihrer Königin von Herzen zugetan, sie wollten
die Welt im Griff behalten, und sie hatten Achtung vor einer Frau, die
ihre Begierden zügeln konnte. Sie wollten Sicherheit für das Land,
wollten einen raschen Wechsel vermeiden. Königin Maria schwor, ihnen
die Treue zu halten, wenn sie es ebenso hielten, und dann lächelte sie
ihnen zu, als wäre alles nur ein Spiel. Ich kannte dieses Lächeln, und
ich kannte diesen Ton – es war genau wie einst in Framlingham,
als sie fragte, warum sie nicht ein Heer gegen eine gewaltige Übermacht
aufstellen sollte? Warum sie nicht für ihren Thron kämpfen sollte? Und
nun hatte sie wieder eine Übermacht gegen sich: ein Heer aus
Volkshelden und eine populäre Prinzessin, welche die stärksten Mächte
Europas gegen Maria mobilisiert hatte und bald losschlagen
würde – und nirgends war ein Verbündeter in Sicht. Maria warf
den Kopf zurück, sodass die Diamanten der schweren Krone blitzende
Strahlen durch den ganzen Saal schickten. Sie lächelte die Menge der
Londoner Bürger an, als sei jeder Einzelne ihr treu ergeben –
und in diesem Augenblick traf es auch zu.
»Und nun, meine treuen Untertanen, fasst euch ein Herz und
stellt euch wie wahre Männer gegen diese Aufrührer. Fürchtet sie nicht,
denn ich versichere euch, ich fürchte sie kein bisschen!«
Sie war überwältigend. Jubelnd warfen die Menschen ihre Mützen
in die Luft und feierten sie, als wäre sie die Jungfrau Maria in
Person. Und sie eilten aus dem Saal und erzählten es allen, die vor dem
Rathaus hatten ausharren müssen, bis die ganze Stadt summte wie ein
Bienenkorb und wie eine Litanei die Worte der Königin wiederholte.
London wurde verrückt nach Maria. Die Männer meldeten sich
freiwillig, um gegen die Aufrührer zu kämpfen, die Frauen zerrissen ihr
bestes Leinen, um Verbandsstoff daraus zu machen, und backten Brot für
die Proviantbeutel der Kämpfer. Die Männer meldeten sich zu Hunderten,
zu Tausenden, und der Kampf wurde gewonnen – nicht erst, als
Wyatts Heer eingekesselt und vernichtend geschlagen wurde, sondern an
jenem Nachmittag, als Maria mit hoch erhobenem Kopf und flammend vor
Mut vor den Menschen gestanden hatte und deren Liebe für die
jungfräuliche Königin gefordert hatte, die sie ihnen reich vergelten
würde.
Wieder einmal sollte die Königin erfahren,
dass es leichter war, den Thron zu gewinnen, als ihn zu behalten. Die
Tage nach der Rebellion verbrachte sie unter Gewissensbissen und mit
der quälenden Frage, was mit den besiegten Rebellen geschehen sollte.
Natürlich würde Gott Maria auf dem Thron beschützen, doch auf Gott
allein konnte man sich nicht verlassen. Maria musste auch selbst für
ihren Schutz sorgen.
Jeder ihrer Räte war der Meinung, dass das Reich niemals
Frieden haben könnte,
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