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Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)

Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)

Titel: Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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geschrieben.
    Jarry wartete geduldig und hielt ihr weiter die Tür auf.
    »Was steht denn unter dem Stacheligen, da vorne?«, fragte sie.
    »Der Stachelige?«
    »Ja. Sankt Sebastian.«
    »Ach, der. ›Daneben.‹«
    Auch nach jahrelangem Training und auf der Straße erlernter Berufsdisziplin konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Ja, das fand ich auch gut«, stimmte er zu. »Ist aber gar nicht von Chagall – der Vorschlag kam aus dem Publikum.«
    »Chagall?«
    »Ja. Den haben Sie noch nicht gesehen. Er arbeitet gerade an Plan B.«
    »Ich kann mir schon ungefähr vorstellen, wie er aussieht.«
    Jarry lehnte sich an den Tisch mit dem schrecklich lahmen PC und bedeutete Angelique, Platz zu nehmen. Sie lehnte sich lieber auch gegen einen anderen Tisch, um ihm nicht den psychologischen Vorteil zuzugestehen, von oben herab mit ihr zu reden.
    »Wer sind Wladimir und Estragon?«, fragte sie.
    »Sie sind ja immer noch so neugierig. Ionesco und Dalí. Dalí ist der Größere. Sie kennen das Stück?«
    »Ja, aber besser auf Französisch. Ihre Übersetzung nimmt sich einige Freiheiten.«
    »Ach so, deshalb haben Sie es nicht gleich erkannt. Tut mir leid. Sie sprechen Französisch?«
    »Französisch, Spanisch …« Angelique unterbrach sich mittenim Satz, als ein kleiner Rest Berufsernst ihren unerklärlich entspannten Gedankenfluss unterbrach. »Was ist hier eigentlich los?«, fragte sie. »Was soll das hier alles …« Sie wusste ja nicht mal, was für Fragen sie stellen sollte.
    »Wahrscheinlich denken Sie sich gerade, dass das für Sie alles einfacher wäre, wenn wir da vorne ein bisschen auf Rambo machen würden, damit sich die Geiseln alle in die Hose pissen.«
    »Zugegeben: Als bei uns in der Ausbildung die Gegenmaßnahmen bei situationistischen Geiselnahmen durchgenommen wurden, war ich wohl krank. Hätten Sie da ein paar Tipps für mich?«
    »Bisher schlagen Sie sich ganz gut. Genau genommen würde ich aber nicht von Situationismus sprechen. Der ist nämlich immer ein Selbstzweck. Was wir tun, ist nur ein Mittel. Aber egal, ob Rambo oder Situationismus, Ihre Priorität bleibt dieselbe: die Sicherheit der Geiseln.«
    »Ich frage mich nur, warum die Ihnen anscheinend auch so wichtig ist.«
    »Hab ich doch schon gesagt: Ich bin hier nicht der Böse.«
    »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber bei dem, was Sie hier machen, kommen Sie auch nicht unbedingt wie einer von den Guten rüber.«
    »Wollen Sie etwa sagen, dass Sie diesem Gesicht nicht trauen?«
    Angelique lächelte und wehrte sich auch nicht mehr dagegen. In Anbetracht der Ereignisse fühlte sie sich immer weniger motiviert, die »härteste Sau« der Polizei zu spielen, wie er es ausgedrückt hatte, was wohl ohnehin niemanden großartig beeindrucken würde. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass er sie mochte, woran sie nicht unbedingt etwas ändern wollte. Dafür gab es drei Gründe, von denen aber nur zwei – Selbsterhaltung und berufliche Zweckmäßigkeit – in ihrer aktuellen Lage rational zu rechtfertigen waren. Der Dritte war der, dass Jarry zuvorkommender, respektvoller und aufmerksamer mit ihr umging, als es seit Langem jemand getan hatte. Das musste von ihr aus nicht so bald aufhören.
    »Ich bin ja auch nicht der Gute«, fuhr er fort, als er Angeliques Lächeln sah. »Sie sind die Gute.«

    »Danke.«
    »Aber es hat sich als praktisch erwiesen, wenn ich den Netten spiele. Geiselpsychologie. Die wissen, dass ich der Chef bin, weil ich eine Waffe habe, also muss ich ihnen nicht jeden Augenblick zusätzlich Angst machen. Die Leute da vorne wissen, dass wir sie nicht einfach laufenlassen, wenn sie uns darum bitten, aber sie müssen sich auch keine Sorgen machen, dass wir sie jeden Moment umlegen. Also tun sie, was wir ihnen sagen, sitzen brav da und warten.«
    »Auf Godot.«
    »Langeweile ist ein zusätzlicher Stressfaktor. Man beschäftigt sich mit nichts als mit seiner Angst. Angst führt zu Verzweiflung. Also helfen wir ihnen, die Zeit totzuschlagen.«
    »Die wäre auch so vergangen.«
    »Touché. Sie kennen das Stück also wirklich.«
    »Und was ist, wenn die Sie nicht mehr ernst nehmen?«
    »Seh ich wie jemand aus, der ernst genommen werden will?«
    »Ja. Solange Sie eine Waffe in der Hand haben, ist es egal, was Sie anhaben.«
    »Richtig. Aber wenn Sie meinen, ob ich mir Sorgen mache, dass einer den Helden spielen will … Genau deshalb muss man eben nett sein. Man fordert die Leute quasi heraus, wenn man sie zu sehr bedroht

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