Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
sicher war, dass er das niemals tun würde. Etwas an ihrem Gespräch war einfach … entwaffnend. Und falsch; das sollte heißen, fehl am Platz,aber nicht schlecht. Es hätte ihr nicht gefallen dürfen. Sie hätte doch vor Wut kochen und ihn mit Verachtung strafen müssen, aber stattdessen war das Gespräch mit diesem Kerl die leichteste Aufgabe an einem ansonsten äußerst schwierigen Tag. Vielleicht setzte nur langsam die Resignation ein: Wie Jarry erklärt hatte, waren die Geiseln sicher, solange sie nichts unternahm. Vielleicht sagte ihr also ein weiserer, lange verborgener Teil ihres Bewusstseins, dass sie sich zurücklehnen sollte. Zumindest fürs Erste.
Erfahrungsgemäß würde sich ihre Einstellung dem Geiselnehmer gegenüber schon einpendeln, wenn sie die sechzehn verängstigten Geiseln sah.
Jarry öffnete die Tür und ging mit ihr leise in den hinteren Teil des Schaltersaals. Die Geiseln saßen mit dem Rücken zu ihnen auf Stühlen und Tischen und schauten Richtung Außenwand. Auf dem Boden standen zahlreiche Plastikbecher mit Wasser, und hier und da sah sie kleine Pfützen, wo etwas ausgekippt war. Auf die weißgesprühten Türen waren ausdrucksvolle Parodien von Kunstwerken mit Gags und respektlosen Kommentaren in Sprechblasen und Bildunterschriften gezeichnet. Vor der gefesselten Versammlung standen zwei der Räuber, darunter der kleinwüchsige, von dem die Zeugen berichtet hatten. Ein Dritter, mit Sicherheit Athena, stand abseits. Trotz der identischen Latexmasken war es nicht schwer, das von der Gewerkschaft vorgeschriebene »Psychopathenschwein« zu erkennen, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass er bei dem mitmachen würde, was seine beiden Kollegen gerade veranstalteten. Sie sprachen laut miteinander, und was sie sagten, war so absurd und unpassend, dass es sich nur um einen einstudierten Dialog handeln konnte. Das Publikum hing ihnen aber an den Lippen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte der Kleine.
»Warten.«
»Und dabei?«
»Wollen wir uns aufhängen?«
»Hätte nichts dagegen!«, rief eine der Geiseln, und ein paar andere kicherten.
»Da würden wir immerhin ’nen Ständer kriegen«, fuhr der Kleine zu großem Gelächter fort.
Angelique drehte sich zu Jarry um, der leise die Sicherheitstür schloss, um die Aufführung nicht zu stören. Angelique ließ sich auch von der Stimmung beeinflussen und flüsterte.
»Was ist hier los?«
»Ich hab doch gesagt, dass sie warten.«
»Worauf?«
»Sie sind die Polizistin, finden Sie es heraus.«
Angelique schaute eine Weile in stiller Verwunderung zu.
»Bin ich schwerer als du?«, fragte der Kleine seinen muskulös gebauten Kumpel.
»Gute Frage. Weiß nicht. Fifty-fifty, würde ich sagen.«
»Was sollen wir denn nun tun?«
»Gar nichts. Das ist sicherer.«
»Weise Worte«, erinnerte Jarry sie.
»Warten wir ab, was er uns sagt«, schlug der Kleine vor.
»Wer?«
»Godot«, flüsterte Angelique gleichzeitig mit dem Kleinen, als der Groschen endlich gefallen war. »Sie Riesenarschloch!«, zischte sie Jarry an, konnte sich ein Kichern aber nicht verkneifen.
Jarrys Schultern bebten, als auch er still lachte.
»Wollen Sie auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren? Haben Sie gehört, dass es in der Klapse in Carstairs schöner ist als im Barlinnie Prison?«
Jarry öffnete wieder die Sicherheitstür und winkte sie hinein. Eine Frau aus dem ›Publikum‹ drehte sich um, weil sich hinter ihr etwas bewegt hatte. Sie schaute kurz Angelique an, konnte ihre Schutzweste und die Fesseln sehen und sich ihren Reim darauf machen, drehte sich aber gleich wieder um. Offensichtlich war das Theaterstück spannender. Da die Frau wohl beschlossen hatte, dass diese Störung kein Teil einer großangelegten Rettungsaktion war, hätte Angelique fast noch ein »Psst!« von ihr erwartet.
Doch nicht alle sahen bei dem Stück zu. Hinter den behelfsmäßigen Zuschauerrängen saß eine Gruppe von Männern aufdem Boden, die meisten in Rangers- oder Celtic-Farben. Sie sprachen leise miteinander, um die Aufführung nicht zu stören. Angelique bekam trotzdem in den Dialogpausen auf der ›Bühne‹ einige Sprachfetzen mit, aus denen sie schloss, dass sie ihre Rivalität zeitweilig hatten ruhen lassen und über eins sprachen, worüber sie sich einig waren: wie sehr sie diese Schafficker aus Aberdeen hassten.
Angelique blieb in der Tür stehen, weil sie sich nicht von dem Spektakel losreißen konnte. Ihr Bericht würde sich anhören, als hätte sie ihn auf Meskalin
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