Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
und ihnen zu sehr zeigt, dass man Macht über sie ausübt. Am besten erstickt man da jede Feindseligkeit im Keim – man macht ihnen klar, dass man die Bank abzockt und nicht sie. Hey, wahrscheinlich zockt die Bank sie ja selber ab. Und plötzlich hat man die Leute auf seiner Seite.«
»Sie haben so etwas wohl schon oft gemacht.«
»Meinen Sie?«
»Nicht hier in der Gegend. Das hätten wir mitbekommen, sogar wir von der Polizei. Kann ich Ihnen eine weniger dumme Frage stellen?«
»Sie bohren ja immer noch. Brauchen Sie die Überstunden? Wenn Sie wollen, unterschreib ich Ihnen eine eidesstattliche Erklärung, dass Sie mich während der ganzen Dauer Ihres Aufenthalts gelöchert haben, da sparen wir uns beide eine Menge Arbeit.«
Das verstand Angelique als nein, fragte aber trotzdem: »Wie wollen Sie hier überhaupt rauskommen?«
»Reicher«, erwiderte er.
Sie warf den Kopf in gespielter Verzweiflung in den Nacken. Was brachte das schon? Wie die Geiseln vorne konnte sie sich eigentlich nur zurücklehnen und die Show genießen. Sie musste sich eingestehen, dass bohren nichts mehr brachte. Ach, Scheiße!
»Wie war das noch mit der Erklärung?«, fragte sie.
Jarry klatschte. »Sie lernt.«
»Endlich hab ich verstanden, warum Sie sagen, ich soll nicht weiter bohren. Da geht’s Ihnen gar nicht um Informationen, was?«
Jarry schüttelte den Kopf. »Nur ein gut gemeinter Rat.«
»Wären Sie bloß heute morgen schon da gewesen und hätten mir geraten, im Bett zu bleiben.«
Darauf folgte eine kurze Pause, in der beiden die ungewollte Doppeldeutigkeit von Angeliques Wunsch durch den Kopf ging.
»Es gäbe jetzt tausend falsche Reaktionen, Officer de Xavia, also lassen Sie mich nur kurz und aufrichtig sagen, dass ich genau dasselbe wünschte.«
Angelique merkte, wie sie wieder knallrot wurde, teils aus Verlegenheit wegen der tausend anderen möglichen Antworten, teils aus Wut auf sich selbst, weil sie sich wieder in so eine blöde Lage gebracht hatte. Jarry hatte auch so schon alle Karten in der Hand, ohne dass sie ihm solche Vorlagen zu arroganten Anzüglichkeiten gab. Dass er diese nicht ausnutzte, tat dabei nichts zur Sache. Die geballte emotionale Wirkung des ganzen Tages brach plötzlich über sie herein, und einen schrecklichen Augenblick lang war sie den Tränen nahe, die ihr keine andere Möglichkeit gelassen hätten, als sich in der Hoffnung auf ihn zu stürzen, dass er sie dann erschießen würde.
Reiß dich zusammen, Mädchen. Sie versteckte sich hinter einem weiteren Lächeln. »Ich kann nicht anders, ich bohre wohl immer noch nach.«
Jarry durchschaute Angeliques Maske, die einfach nicht mit seiner mithalten konnte. Seine blauen Augen sahen sie eine Weile mit durchdringendem, unergründlichem Blick an. Angelique wollte sich reflexhaft abwenden, kämpfte aber halb aus Trotz, halb aus Neugier dagegen an. Außer diesen Augen sah sie nichts von ihm, nur an ihnen würde sie ihn erkennen können, falls sich ihre Wege jemals wieder kreuzten, aber irgendwoher wusste sie, dass das ausreichen würde.
Der Moment zog sich in die Länge, die Stille wuchs, nur gedämpfter Beckett-Dialog drang durch die Tür.
»Ich hab das Gefühl, dass heute bisher nicht Ihr Tag war«, sagte er leiser.
»Da haben Sie recht«, erwiderte sie und schniefte etwas hoch, was sie vor dem höchsten Gericht des Landes als Schleim identifizieren würde.
»Wer weiß, vielleicht wird’s ja noch besser.«
»Da gibt’s ’ne Menge aufzuholen, das können Sie mir glauben.«
»Was denn?«
»Außer, dass ich an meinem freien Tag zur Arbeit zitiert werde, mich in ’nen Banküberfall abseilen muss, von situationistischen Räubern gefangen genommen werde, von Ihrem Quotenpsycho eins mit dem Gewehr übergebraten kriege und mich jetzt von ’nem Klugscheißer in Clownsmaske verarschen lassen muss, der meine Dienstwaffe in der Hand hat, meinen Sie?«
»Ja.« Er lachte. »Das ist doch Kleinkram. Was haben Sie noch auf Lager?«
Wenn du es unbedingt wissen willst.
»Ich bin heute dreißig geworden.«
»Scheiße. Das tut weh.«
»Meinen Sie immer noch, dass es noch besser wird?«
»Alles ist möglich.« Er holte wieder sein Handy hervor. »Ihr Team tut schon mal seinen Teil. Vier-null. Hughes, neunzigste Minute. So, jetzt sieht doch schon alles ganz anders aus, oder?«
»Ich muss heute zum Abendessen zu meinen Eltern.«
»Okay, dann gibt’s wohl wirklich eine Menge aufzuholen. Aberwenn Sie Glück haben, werden Sie dann vielleicht immer
Weitere Kostenlose Bücher