Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
vielleicht versuchen, das Ganze mit ’nem Hilfsstromkreis zu umgehen.«
»Und dann?«
»Die Kiste spinnt ja sowieso schon, also keine Ahnung. Theoretisch würde man so den Timer aus dem Kreis rausnehmen, aber wenn wir Pech haben, löst das einfach direkt den Zünder aus.«
Jarry grunzte frustriert, und man sah, wie ihn die Wut durchfuhr. Es schien eigentlich schon vorüber, als er plötzlich sein falsches Gewehr mit beiden Händen packte und gegen die Wand schmetterte.
»All die Planung, die ganze Warterei, die Proben. Wir sind so nah dran, und jetzt geht das Ganze mit einem blöden Kurzschluss in die Hose.«
»Sorry, Alter. Aber wir müssen jetzt entscheiden, was wir machen.«
»Sekunde«, sagte Jarry und wandte sich von den beiden ab. »Ich muss nachdenken.«
Angelique schaute wieder auf den Timer, der jetzt weniger als sechs Minuten anzeigte.
»Sie haben keine Sekunde«, ermahnte sie ihn. »Sie haben oben sechzehn Geiseln sitzen, und ehrlich gesagt bin ich mir nicht so sicher, dass das Gebäude dem standhält, was Sie hier unten verkabelt haben.«
Jarry lehnte sich mit der Hand gegen die Wand, als könnte er sonst nicht mehr stehen. Er sah Angelique stumm an. Aus seinen Augen sprachen verständliche Angst und völlig deplazierte Unentschlossenheit.
»Wenn ich drüber nachdenke, bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass das mit dem Hilfsstromkreis klappen müsste«, versicherte Chagall wenig überzeugend. »Ich probier’s aus.«
»Nein!«, widersprach Angelique und stellte sich zwischen Chagall und den Timer. »Das ist doch unberechenbar.« Sie wollte ruhig bleiben, aber sie schrie vor Wut. »Sie können nicht riskieren, dass die ganze Bude einstürzt.«
Jarry zog die P990 aus dem Hosenbund und zielte auf Angelique, damit sie Platz machte.
»Sie haben doch bisher noch kein Leben aufs Spiel gesetzt. Warum wollen Sie jetzt damit anfangen?«, flehte sie. »Sie sind doch nicht der Böse, schon vergessen?«
Jarry sah sie an, dann den Safe, Chagall und dann wieder sie.
»Sie haben recht«, gab er zu und nahm eine Zange aus Chagalls Werkzeugtasche. »Drehen Sie sich um.«
Angelique gehorchte. Jarry nahm die Pistole in die linke Hand und durchschnitt Angeliques Fessel mit der rechten.
»Danke«, sagte sie erleichtert. »Sie tun das Richtige.«
»Los.« Er legte ihr die Hand auf den Unterarm und führte sie wieder die Treppe hinauf. »Ich weiß ja nicht, warum Sie sich bedanken – jetzt schaffen Sie es zu Ihrer Mum zum Essen.«
»Wer leben will, muss leiden.«
Jarry blieb vor der Sicherheitstür zum Schaltersaal stehen und hielt die Walther in der rechten Hand nach oben. Er warf das Magazin in die linke aus und gab Angelique die leere Waffe.
»Alles Gute zum Geburtstag.«
»Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Stimmt. Okay, wenn wir jetzt durch diese Tür gehen, ruf ich meine Leute zurück, und Sie führen die Geiseln nach draußen. Dalí macht Ihnen die Tür auf. Sorgen Sie nur dafür, dass niemand erschossen wird, okay?«
»Wird gemacht«, erwiderte sie und zog das Handy aus der Tasche, das McMaster ihr gegeben hatte. »Und was ist mit Ihnen?«
»Wenn die Geiseln draußen sind, lass ich Chagall sein Glück mit der Schaltung versuchen. Wenn’s klappt, haben wir wieder etwas zum Verhandeln. Zwar keine Geiseln, aber immerhin eine Bombe.«
»Und wenn’s nicht klappt?«
»Denken wir lieber nicht darüber nach, okay?«
»Meinetwegen.«
Er griff nach der Türklinke.
»Jarry?«, sagte Angelique.
Er hielt inne und drehte sich um. »Ja?«
»Passen Sie auf sich auf.«
»Sie auch, Officer de Xavia.«
Rückzugsstrategien (I)
Andy wollte so langsam die Zelte abbrechen. Es war dunkel geworden, und die Kälte hatte die Saiten ziemlich mitgenommen. Vor allem hatte sich der Auflauf aber mit der Zeit stark gelichtet, weil nichts mehr passiert war. Seit die Frau mit dem Pferdeschwanz sich von dem Gebäude daneben abgeseilt hatte und in der Bank verschwunden war, hatte es nichts mehr zu sehen gegeben. So eine Hausfassade war auch nicht interessanter, nur weil man wusste, dass sich dahinter Bankräuber versteckten. Da es sich aber um Glasgow handelte, staute sich der stete Passantenstrom an der Absperrung immer noch ein wenig, weil alle sich versichern wollten, dass es dort wirklich »nichts zu sehen gab«, wie die Polizisten behaupteten. Andy hatte also den Nachmittag über noch seine Laufkundschaft gehabt.
Sogar die Bullen – naja, einer der Bullen – hatten ihm zugegrinst, als er Neil
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