Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
sie doch nur in die Wohnzimmerfenster schauen, wer Fußball laufen hatte. Wenn du in deiner neuen Wahlheimat nicht auffallen willst, dann guckst du gefälligst Football oder Baseball oder Basketball oder Eishockey. Fußball gucken fällt nur dann nicht auf, wenn du ein elfjähriges, weißes Mädchen aus ’ner Mittelschichtfamilie in La Jolla bist. Außerhalb der Vororte bedeutete Fußball eine fehlgeschlagene Amerikanisierung, und je weiter man sich von den USA entfernte, desto schlimmer wurde es. In Mexiko gab’s immerhin noch Wrestling, Scheiße noch mal, aber eigentlich war ja klar, dass man in Europa, sozusagen an der Quelle, überhaupt keinen Sport mehr aus der Neuen Welt fand. Da brauchst du auch nicht dreimal die Hacken zusammenzuschlagen, Dorothy. Toto und du kriegen keine Play-Offs zu sehen, egal, wie gelangweilt, einsam und schlaflos ihr seid.
Spätestens drei Stunden nach seiner Ankunft in diesem fremden Land war ihm also klar geworden, dass er die beruhigende Wirkung eines Blowjobs brauchte wie nie zuvor. Klar tat die gewohnte Umgebung des Hotelzimmers das ihre, aber solange Fellatio nicht auf der Room-Service-Karte stand, konnte das Hilton nicht allen Ansprüchen seiner Dienstreise genügen.
Dummerweise konnten das die örtlichen Dienstleisterinnen aber auch nicht, wie sich bei seiner kurzen nächtlichen Ausfahrt herausstellte. Nach ein paar diskreten Andeutungen wurde ihm die Gegend namens Blythswood empfohlen, die gar nicht weit weg war, aber als er die Fahrt verlangsamte und sich die Angebote ansah, wurde ihm plötzlich klar, dass er wohl nur geglaubthatte, er würde unbedingt einen Blowjob brauchen. Oh Gott, was für ein Anblick. Eine Junkie-Nutte neben der anderen. Nie im Leben würde er so eine durch die Hotellobby führen oder womöglich an seinen Schwanz lassen. Er hatte LA so überstürzt verlassen, dass er sich gar nicht mehr informiert hatte, wogegen man sich impfen musste, wenn man nach Schottland fuhr, aber er glaubte nicht, dass es etwas dagegen gab, was man sich bei den Schlampen hier einfangen konnte. Pfui Teufel.
Stattdessen setzte er sich an die Hotelbar und versuchte es mit Selbstmedikation. Der Schlaf wollte immer noch nicht kommen, aber das örtliche Anästhetikum war verdammt lecker. Scotch, fand er heraus, wurde in Schottland hergestellt. Kaum zu glauben. Wer hätte das gedacht? Er hatte immer gemeint, das wäre eben eine der beiden Whiskysorten, die andere war Bourbon, und wenn ihn jemand gefragt hätte, hätte er gesagt, dass Bourbon südlich und Scotch nördlich der Mason-Dixon-Line hergestellt wurde. Da sieht man’s mal wieder: Reisen bildet, auch wenn’s manchmal ein paar graue Zellen ersäuft. Vor allem sein Gaumen durfte seinen Horizont erweitern: Es gab Dutzende verschiedene »Malts«, wie sie hier genannt wurden, und er nahm an einer kleinen Rundreise über die Highlands und Inseln mit Water-of-Life-Tours teil. Der Barkeeper erzählte ihm begeistert die Hintergründe jedes einzelnen Glases, das er ihm hinstellte, und Harry hörte ihm gerne zu, weil er dann endlich nicht mehr davon erzählen konnte, dass so ziemlich jede einzelne praktische Erfindung der Weltgeschichte aus Schottland komme.
Harry wachte um zwei Uhr nachmittags auf, und es ging ihm besser, als er nach all dem Whisky eigentlich erwartet hatte. Vielleicht war er einfach nur schrecklich erleichtert, weil er in der Jetlag-Phase überhaupt hatte schlafen können, in der man wirklich nicht mehr damit rechnet. Das hieß aber nicht, dass es ihm gut ging, bloß nicht mehr so schlecht wie zur gleichen Zeit am Tag davor, oder vielleicht doch genauso schlecht, aber aus anderen Gründen. Bei einem Kater wusste man, woran man war; man wusste, wie man damit umgehen musste, und was er mit einem machte.
Er ging duschen, rief dann Hannigan an und lud ihn zum Essen ins Hotel ein. Hannigan wollte aber nichts davon hören und bestand darauf, Harry in einem vornehmen Restaurant in der Stadt zu empfangen, wo man ihn kannte.
»Sie sind in meiner Stadt«, sagte er. »Lassen Sie mich Ihnen die Glasgower Gastfreundschaft zeigen.«
Das war eine nette Geste. Kein bisschen Konfrontation, verletzter Stolz oder Ungeduld. Ein subtiles Zeichen von Respekt. Kein großes Zurschaustellen seiner Macht, wie wenn er Harry zu sich ins Büro geladen hätte, wo seine Schläger ihre Muskeln spielen lassen hätten. Nein, nur sie beide beim Essen. Mittag für Hannigan und Frühstück für Harry. Er war sogar so taktvoll, bis nach der
Weitere Kostenlose Bücher