Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
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Unfassbar. Die behandelten Verbrechen wie Unterhaltung undapplaudierten diesen Gangstern geradezu, bloß weil deren Methoden ein bisschen extravaganter waren als die der üblichen Schrotflinten-Räuber. Das waren nicht nur Diebe, sondern Künstler-Diebe, wissen Sie, also ging das schon in Ordnung. Durfte dann jetzt auch jeder einen Schuljungen vergewaltigen, solange er nur einen falschen Picasso an die Tatortwand kritzelte? Die Frage stellte keiner von Walters sogenannten Branchenkollegen. Stattdessen ließen sie sich allesamt genauso von dem Gehampel der Räuber ablenken wie die Polizei vor Ort. Schlimmerweise hatten sie anscheinend auch alle keine Ahnung, worüber sie da schrieben. Von einer Seite zur nächsten konnten sie sich nicht entscheiden, ob es sich um Surrealisten, Absurdisten, Situationisten oder womöglich Dadaisten handelte, wenn doch glasklar war, dass sie es einfach nur mit Verbrechern zu tun hatten. Dadaisten! Der betreffende Schreiberling hatte das Wort nur eingestreut, weil er damit angeben wollte, dass er es kannte; dumm nur, dass er leider nicht wusste, was es bedeutete.
Auch die Einzelheiten der pseudokünstlerischen Darbietung widersprachen sich entsetzlich, wo sie nicht aufs Unglaubwürdigste übertrieben wiedergegeben waren. Je nach Zeitung hatten die Räuber im Laufe ihrer Missetat in Gänze Warten auf Godot, Hamlet oder Die Piraten von Penzance aufgeführt und die Wände mit Abbildern des halben Musée d’Orsay überzogen.
Unvorstellbar, was die Polizei sich gedacht hatte. Unter Thatcher wäre so etwas nicht passiert, das stand verdammt noch mal fest: Da hätten sie nicht draußen herumgelungert und bei jedem Schritt aufgepasst, bloß nicht die armen Räuberlein zu erschrecken. Damals hatte die Polizei sich noch darauf verlassen können, dass die Regierung hinter ihr stand. Die wären einfach reinmarschiert und hätten zackig aufgeräumt. Und hinterher hätte keiner wegen ein paar toten Verbrecherschweinen oder vielleicht ein, zwei Opfern unter den Geiseln groß Fragen gestellt. Damals hatten die Leute noch gewusst, dass die Schuld niemanden als die Verbrecher traf, auf gar keinen Fall die Gesetzeshüter. Aber diesmal hatte die Polizei sich beschämend überlisten lassen, während sie sich überlegte,wie sie die Räuber höflich zum Aufgeben überreden könnte, ohne ihre einklagbaren Menschenrechte einzuschränken. Das war doch neben dem verlorenen Geld das eigentlich Tragische an der Sache, was die Presse natürlich nicht merkte, weil sie den Räubern lieber zu ihrem Einfallsreichtum gratulierte.
Während dieser Überlegungen wurde Walter klar, dass er durchhalten musste, so schwer es auch werden würde, und wenn auch nur, um diesen Idioten zu zeigen, welche Standards diese Zeitung einmal gehabt hatte. Er würde sich nicht rausekeln lassen, um für weitere Trottel Platz zu machen, die früher nicht einen Vormittag überlebt hätten. Und als er das beschlossen hatte, erschien ihm der Auftrag immer reizvoller, je länger er darüber nachdachte. Wenn er ein dekorierter Veteran der alten Kampagnen war, dann stellte das hier wohl die neue Art des Widerstands dar. Die Linke hatte ihre Sechziger gehabt, ihren Aktivismus und Radikalismus, ihre ›Gegenkultur‹. Vielleicht war es ja jetzt Zeit für eine militante Rechte, denn was war konservativ sein heutzutage wenn nicht eine Gegenkultur?
Am Ende der Nacht war er sich sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, und am Ende der Woche erschien sie ihm geradezu genial.
Familie und christliche Keuschheit war, wie die Redakteurin ihm erklärt hatte, das jüngste Projekt von Liam McGhee, der ein leidenschaftlicher Moralaktivist geworden war, nachdem er während seiner Haftstrafe wegen schweren Raubes seinen Glauben wiederentdeckt hatte. McGhee war in ein Leben als Kleinkrimineller abgerutscht, nachdem er des Priesterseminars verwiesen worden war, weil er den silbernen Abendmahlskelch verkauft hatte. Er behauptete allerdings, er sei von einem schwulen Maristen-Bruder hereingelegt worden, der das Geld für Stricher ausgegeben habe. Als er das Licht gesehen und den Sünden seiner Vergangenheit entsagt hatte, wurde McGhee von brennendem religiösen Eifer erfüllt, den er zunächst in Anti-Abtreibungs-Aktivismus umsetzte, bevor er sein Themengebiet auf ein ganzes Spektrum von Moral- und Familienfragen erweiterte.
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