Die Holzhammer-Methode
sich nach der netten Nacht zwar nicht wieder gemeldet, aber er konnte sich nicht erinnern, dass sie irgendwie im Bösen auseinandergegangen wären. Ihre Handynummer hatte er gespeichert, also rief er gleich an: «Christine, hier ist Klaus. Der Klaus von der Polizei.»
«Hallo», kam es recht kühl aus dem Hörer.
«Sag mal, könntest du mir helfen? Ich hab eine Zeugin mit psychischen Problemen. Sie steht unter Schock, ihr Mann und ihr Kind wurden umgebracht.»
«Mein Gott. Wo ist sie jetzt?» Sofort war Christine ganz Ärztin.
«Sie ist im Krankenhaus, steht unter Medikamenten. Ich habe gerade versucht, etwas aus ihr rauszukriegen, aber sie weiß momentan gar nicht mehr, was passiert ist.»
«Du lässt die arme Frau sofort in Ruhe, klar?» Christine wurde plötzlich energisch. «Wenn du willst, rede ich morgen mit ihr – frühestens. Aber vorher braucht sie unbedingt Ruhe. Ich komme nachher auf die Wache, und du erzählst mir, was passiert ist. So gegen halb sechs.»
«Okay», sagte Fischer verwirrt. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er gerade ziemlich herumkommandiert wurde. Warum nahm ihn eigentlich keiner ernst?
Als Fischer wieder in die Dienststelle kam, ging gerade der erste Bericht der Spurensicherung ein. Holzhammer hing am Telefon, und Josef Berg gab ihm durch, dass sie tatsächlich ein angebrochenes Glas mit Resis gesundem Brotaufstrich in der Ferienwohnung gefunden hatten. Natürlich hatten sie den Wirtsleuten erzählen müssen, was passiert war. Die hätten ja ohnehin bald gemerkt, dass ihre Gäste nicht wiederkamen. Und dann sagte Berg etwas, das Holzhammer das Blut in den Kopf trieb: «Wo ist eigentlich das andere Kind?»
«Welches andere Kind?», stotterte er.
«Die Familie hatte doch zwei Kinder, acht und zehn, Sven und Thomas. Sagen die Wirtsleute, und hier sind auch …» Weiter kam Berg nicht. Holzhammer hatte aufgelegt und war bereits dabei, die Nummer des Krankenhauses zu wählen. Dort fragte er, welches der beiden Kinder das tote war. Der Junge hatte keinen Ausweis bei sich gehabt, aber der Größe nach musste es sich um den jüngeren handeln. Holzhammer bedankte sich und legte auf.
Seit dem Tod im Schwimmbad waren gut vier Stunden vergangen. Wenig Zeit, um einen Mord aufzuklären. Aber viel zu viel Zeit, um einen Zehnjährigen, der gerade Vater und Bruder verloren hat, unbeaufsichtigt herumlaufen zu lassen. Holzhammer rief im Schwimmbad an. Dort wusste niemand etwas von einem Zehnjährigen namens Thomas.
«Macht bitte sofort eine Durchsage. Der zehnjährige Thomas Bühler soll sich beim Bademeister melden. Und wenn er sich meldet, ruft ihr mich an.»
Der Rückruf kam bereits wenige Minuten später, gerade als Holzhammer seinen Chef von der Existenz des zweiten Sohnes unterrichtete – und als es in Fischers Hinterkopf klingelte. Die Frau im Krankenhaus hatte doch «Kinder» gesagt. Plural. Darauf hatte er in dem Moment gar nicht geachtet.
«Ich hol ihn ab», sagte Holzhammer in sein Handy und wandte sich zum Gehen.
«Was hast du vor?», fragte Fischer.
«Ich hol den Jungen aus dem Schwimmbad. Er war die ganze Zeit allein da. Ich bring ihn erst mal zu meiner Schwester.»
«Wieso das denn?», fragte Fischer. «Für solche Fälle ist doch das Jugendamt da.»
«Schnickschnack Jugendamt. Meine Schwester hat vier Kinder, da bring ich ihn erst einmal hin. Wenn seine Mutter in ein paar Tagen vielleicht entlassen wird, kann sie ihn da abholen. Und nicht aus irgendeinem Jugendheim.»
Fischer fiel ein, dass dieses Vorgehen einen weiteren großen Vorteil hätte. So würde nämlich keine offizielle Stelle erfahren, dass die Polizei geschlagene vier Stunden gebraucht hatte, um herauszufinden, dass die Familie aus vier Personen bestand. «Ist deine Schwester denn einverstanden?», fragte er. «Hast du sie überhaupt schon gefragt?»
«Da muss ich nicht fragen. Im Gegenteil, sie wär beleidigt, wenn ich erst fragen würde, ob ich ein Kind zu ihr bringen darf, das gerade seine halbe Familie verloren hat.» Was in der Großstadt schon lange abhanden gekommen war, die selbstverständliche Hilfsbereitschaft in Notfällen aller Art, hier war sie noch intakt. Fischer hatte so etwas nie kennengelernt, für Holzhammer gehörte es zum Leben wie die Schneemassen im Winter.
«Also gut, bring ihn zu deiner Schwester. Vielleicht kannst du ihn fragen, was er mitbekommen hat.»
Holzhammer sah seinen Chef an wie ein ekliges Insekt, das unvermittelt unter einem Salatblatt hervorkrabbelt, und ging
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