Die Holzhammer-Methode
hinaus. Auf der Fahrt zum Schwimmbad überlegte er verzweifelt, was er dem Jungen sagen sollte. Allem Anschein nach hatte der Knirps immer noch keine Ahnung, was passiert war. Und Holzhammer fühlte sich bei Gott nicht in der Lage, ihn ins Bild zu setzen. Nein, er würde nichts sagen. Aber was, wenn der Junge fragte?
Kurz nachdem Sven und sein Vater in Richtung der Toiletten verschwunden waren, war auch Thomas ein wenig übel geworden. Der kleine Bissen von dem vergifteten Brot hatte ausgereicht. Doch im Gegensatz zu seinem Bruder war er nicht ins Gebäude gelaufen, sondern in das Gebüsch am Zaun gekrabbelt. Anschließend hatte er sich vor dem Gebüsch auf die Liegewiese gelegt und war eingeschlafen. Als er zum Liegeplatz der Familie zurückkehrte, war alles weg – Decken, Taschen, Eltern, Bruder. Thomas hatte sich gewundert, aber er war sicher gewesen, dass sie wiederkommen würden. Vielleicht waren sie ins Café gegangen und hatten die Sachen lieber mitgenommen. Dahin wollte er aber nicht, sein Magen grummelte immer noch. An Essen mochte er nicht einmal denken. Er legte sich einfach an die Stelle, an der die Familie vorher gelagert hatte, und döste in der warmen Sonne schnell wieder ein.
Erst die laute Durchsage des Bademeisters weckte ihn. War das wirklich sein Name gewesen? Tatsächlich. Die Durchsage wurde wiederholt. Sein Name aus einem Lautsprecher, sodass alle ihn hören konnten! Er fühlte sich wichtig. Thomas stand auf und ging ins Gebäude, um sich beim Bademeister zu melden. Er war ja schon groß.
Noch am Nachmittag wurden die ersten Gläser mit Murmeltieraufstrich in der Polizeidienststelle abgegeben. Fischer hatte angeordnet, sie abends ins Labor zu schicken. Die Benachrichtigung der abgereisten Urlauber delegierte Fischer mit Hilfe des Bürgermeisters an den Tourismusverband. Sein Argument lautete, dass es einen weitaus besseren Eindruck machen würde, wenn die Leute von dem Zweckverband kontaktiert wurden als ausgerechnet von der Polizei. Außerdem hatte der Verband die Adressen bereits fix und fertig im Computer, da alle Gäste zu gegebener Zeit mit den aktuellen Prospekten fürs nächste Jahr versorgt werden sollten.
Pünktlich um halb sechs parkte Christine ihr kleines Cabrio vor der Polizeiwache. Sie hatte Klaus Fischer seit ihrer gemeinsamen Nacht nicht mehr gesehen, doch auf dieses singuläre Ereignis ging keiner der beiden ein, als sie sein Büro betrat. Fischer erzählte stattdessen, was im Schwimmbad geschehen war und dass die Frau jetzt schwer traumatisiert im Krankenhaus lag.
Einen Moment lang musste Christine an ihre eigene Situation denken. Was wäre passiert, wenn ihr Mann auf tragische Weise ums Leben gekommen wäre, bevor er sich ihr gegenüber als Arschloch entpuppt hätte? Natürlich hätte sie um ihn getrauert, ja sie wäre am Boden zerstört gewesen. Genau das war sie jetzt auch gewesen, zumindest im ersten Moment. Sie fragte sich, was schlimmer war: ein Mann, der tragisch verstarb, den man zum Idealbild verklären und um den man ein Leben lang trauern konnte? Oder ein Partner aus Fleisch und Blut, der sich von einer Stunde zur anderen als völlig Fremder entpuppte, als jemand, der das eigene Vertrauen missbraucht hatte und jegliche Investition in das Zusammenleben als Fehlinvestition erscheinen ließ. Christine war nicht in Gefahr, die Arschlochhaftigkeit ihres zukünftigen Exmannes als geschlechtsspezifisch anzusehen. In ihrer Praxis hatten schon genügend verzweifelte Männer gesessen, deren Frauen aus heiterem Himmel mit ihrem Chef oder dem Tennislehrer durchgebrannt waren.
Während Männer unbewusst die uralten Programme zur Eroberung des gebärfreudigsten Weibchens ausführten, waren die Weibchen ihrerseits darauf programmiert, sich ein möglichst ranghohes Männchen zu suchen. Instinkte, die umso machtvoller wirkten, je weniger man sich ihrer bewusst war. Doch dass Christine die Mechanismen kannte, hieß keineswegs, dass sie ihrem Mann verzieh. Kein Mensch war seinen Trieben hilflos ausgeliefert. Schon gar nicht ein studierter Mitteleuropäer. Womit sie wieder bei Dr. Klaus Fischer war. Dessen letzte Sätze hatte sie über ihren Überlegungen verpasst.
«Wie war das?», fragte sie unverbindlich nach.
«Das Gift ist Aconitin.»
«Ach ja, Eisenhut.» Von Holzhammer wusste sie ja bereits, dass ihre Patientin diesem Pflanzengift erlegen war. «Und das wurde bei allen Toten gefunden, oder?»
«Bei allen, die diesen Brotaufstrich gegessen haben. Der junge
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