Die Holzhammer-Methode
doch der Hähnchenduft machte Christine offenbar vertrauenswürdig. Drei Katzen folgten ihr von der Haustür bis zum Mülleimer, eine weitere beobachtete sie vom Gartenzaun aus, und die fünfte saß auf dem Vogelhaus, das unter dem dicksten Ast des alten Obstbaums schaukelte. Gerade als sie die Mülltonne geöffnet hatte, wagte sich ein dicker getigerter Kater ganz an sie heran. Er strich ihr um die Beine, während sie das Päckchen in die Tonne fallen ließ. Christine schloss den Deckel und beugte sich hinab, um den Kater zu streicheln. An ihren Händen haftete noch der verführerische Hähnchenduft. Sie hatte den Katzen nichts von den Hähnchenresten gegeben, weil sie wusste, dass manche die Röhrenknochen nicht vertrugen und dass die Flüssigwürze ihr Verdauungssystem durcheinanderbrachte.
Der Kater schnupperte an ihrer Hand und ließ sich dann am Kopf kraulen. Als er merkte, wie angenehm sie kraulen konnte, warf er sich auf den Rücken und schnurrte. Christine streichelte vorsichtig sein beachtliches Bäuchlein mit den weichen Haaren. In diesem Moment kam die Wirtin in Gummistiefeln um die Hausecke. Sie hatte sich wohl hinten im Garten zu schaffen gemacht. «Nanu», sagte sie, «das hab ich ja noch nie erlebt, dass sich der Maxi von Fremden streicheln lässt.»
Und plötzlich wurde die sonst so unwirsche Frau ganz redselig. Sie erzählte Christine, wie sie den Kater halb verhungert und völlig verstört bei sich aufgenommen hatte. Eine weitere Katze kam ums Eck und schmiegte sich an die Beine der Vermieterin. Auch die Geschichte dieser Katze bekam Christine zu hören. Sie sei schon sehr alt und habe keine Zähne mehr, deshalb müsse ihre Nahrung im Mixer zerkleinert werden. Auch die anderen Stubentiger der Frau waren Sorgenkinder. Die eine war von ihren früheren Besitzern gequält worden, eine andere hatte einen Autounfall gehabt. Christine erfuhr sämtliche Krankheiten, die die Katzen jemals gehabt hatten. Höflich und etwas erstaunt hörte sie zu. Offensichtlich brachte Frau Schön für ihre Katzen mehr Mitgefühl auf als andere Leute für ihre Kinder oder Ehepartner.
Christine fühlte sich verpflichtet, etwas Nettes zu sagen. Als die Tierfreundin eine kurze Pause machte, um einen Kater namens Waldemar zu begrüßen, machte Christine ihr ein Kompliment: «Ihr Garten ist ja auch wunderschön», sagte sie. Damit löste sie einen neuen Wortschwall aus. Und die Einladung zu einer umfassenden Führung durch den Garten. So erfuhr Christine die Namen jeder einzelnen Blume und ihren Werdegang vom Samen bis zum heutigen Wachstumsstadium. Sie erfuhr, dass Frau Schön alle Pflanzen selber zog, sogar Exoten wie das Tränende Herz. Besonders stolz war sie auf ihre Sammlung von Storchschnabelsorten, die sich um den kleinen Teich gruppierten. Sie gab zu, dass sie ab und an Fische in den Teich setzte, nur damit ihre Katzen Spaß beim Herausfischen hatten.
Das fand Christine ziemlich seltsam, denn schließlich waren Fische auch Geschöpfe. Sie standen vielleicht unter den Katzen, aber mit Sicherheit über dem Storchschnabel.
Als ihre Vermieterin im Vorübergehen eine winzige Brennnessel aus dem Beet zupfte, fiel Christine der ungewöhnliche Ring auf, den sie am Mittelfinger der rechten Hand trug. Das Geschmeide besaß keinen Stein, stattdessen war es aus zwei verschiedenen Goldsorten raffiniert geflochten. Christine sah auf die Uhr und verabschiedete sich. Sie war für den Abend mit Matthias verabredet und wollte vorher noch unter die Dusche.
Als Christine eine gute Stunde später die Wohnung von Matthias betrat, standen alle Möbel anders als bei ihrem letzten Besuch. Nur der buddhistische Schrein hatte seinen angestammten Platz behalten. Erstaunt blickte sie sich um und fragte: «Warum hast du umgestellt?»
«Ach, das mach ich öfter», sagte Matthias. «Wenn ich schon immer in derselben Wohnung lebe, muss sie wenigstens ab und zu mal anders aussehen. Dann sitz ich irgendwo und denke‚ wenn das Sofa drüben stehen würde, könnte ich aus dem Fenster den Göll sehen. Dann stell ich das Sofa um, aber dann muss natürlich auch der Tisch umgestellt werden, damit es wieder zusammenpasst. Dadurch stehen dann zum Beispiel die Stühle zu nah an den Regalen … Und plötzlich habe ich das ganze Zimmer umgeräumt.»
Neben seiner Hilfsbereitschaft war die auffälligste Eigenschaft von Matthias seine Spontaneität. Wenn er eine Idee hatte, dann setzte er sie sofort in die Tat um. Und Ideen hatte er ziemlich oft. Dabei war
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