Die Holzhammer-Methode
später die Überlebende gemeinsam mit unserem Hitlerdarsteller Enzian trinken.»
«Hm», machte Christine. «Trotzdem grenzwertig.»
«Ja, Berchtesgadener Humor ist manchmal etwas schwer verdaulich. Aber weißt du, die Bauern, die damals den Faschingsumzug geplant haben, die haben Hitler noch miterlebt. Ihn und seinen ganzen Hofstaat. Und auch die begeisterten Massen, die Tausende von Besuchern, die zum Berghof hinaufpilgerten. Für diese Bauern war Hitler keine Figur aus den Geschichtsbüchern, sondern ein real existierendes Arschloch.»
Schon wieder ein Klischee dahin, dachte Christine. Die Leute hier waren keine verbohrten Ewiggestrigen. Sie hatten nur einen etwas gewöhnungsbedürftigen Humor und eine sehr handfeste Art, ihre Meinung kundzutun. «Ich stell mir grade vor, der Faschingsumzug würde heute in einer beliebigen deutschen Großstadt stattfinden», sagte sie zu Matthias.
«Keine Chance», lachte er.
Am nächsten Morgen machte Holzhammer sich gleich auf den Weg zum Seeufer. Zwar war auch er der Meinung, dass die Gläser nur in den Geschäften ausgetauscht worden sein konnten, aber er wusste, wie es in diesen Shops im Sommer zuging. Viele Touristen wanderten hinein und hinaus, ohne etwas zu kaufen. Und bei schlechtem Wetter wanderten sie auch dreimal pro Tag in den gleichen Laden, vor lauter Langeweile. Er bezweifelte, dass die Verkäuferinnen sich an irgendwelche Besonderheiten erinnern würden. Zumal er keinerlei Anhaltspunkte hatte. Und überhaupt – selbst wenn in allen Läden eine Person aufgefallen wäre, so besagte das überhaupt nichts. Viele Touristen grasten systematisch alle Geschäfte ab, vom Lederhosenstadel bis zum zur Edelsteingrotte. Dass die Andenkenläden ein fast identisches Sortiment hatten, wusste man ja erst, wenn man in allen gewesen war.
Trotzdem, vielleicht war ja doch irgendjemandem etwas aufgefallen. Holzhammer beschloss, die Läden diesmal in umgekehrter Reihenfolge abzuklappern. Er fuhr mit seinem Polizeiwagen bis zum See vor und betrat den hintersten Souvenirshop. Das «Grüß Gott» der Verkäuferin klang mechanisch und war stark sächsisch gefärbt. Viele Saisonkräfte kamen inzwischen aus den neuen Bundesländern, das wusste Holzhammer. Heute galt ein Lokal schon als besonders fein, wenn es sich original einheimische Bedienungen leisten konnte. Neulich hatte eine Gastwirtschaft inseriert: «Bayerisch sprechende Bedienung gesucht». Diese Frau hier sprach kein Bayerisch. Und sie hatte nichts Ungewöhnliches gesehen oder gehört.
Holzhammer zog weiter zum nächsten Geschäft. Neben in Korea gefertigten röhrenden Hirschen aus Plastik empfing ihn die resolute Dame, die ihm schon letztes Mal die Gläser mit Resis Brotaufstrich fast nicht kampflos überlassen hatte. «Was wollen Sie denn schon wieder?», schallte es ihm norddeutsch entgegen.
Und etwas Ungewöhnliches hatte sie auch nicht bemerkt. Dafür hätte wahrscheinlich ein Trompete spielender Wolpertinger durch den Laden radschlagen müssen. Auch im dritten Geschäft keine besonderen Vorkommnisse. Im vierten Geschäft wieder eine Sächsin.
Der letzte Laden war der, den er bei seiner Jagd nach den Gläsern vor ein paar Tagen als Erstes gestürmt hatte. Erwartungsgemäß traf er wieder auf Beate, die Freundin seiner Frau.
«Ja, Holzhammer», sagte sie fröhlich, «du schon wieder, bringst mir meine Glaseln zurück?»
«Eher ned, Beate.» Gerade rechtzeitig fiel Holzhammer ein, dass er besser nicht ausplauderte, was genau mit den Gläsern los war. Beate war eine ortsbekannte Ratschkatl; wenn er ihr was erzählte, wusste es in zwei Stunden jeder. «Du, aber sag, ist dir in den letzten zwei Wochen hier im Geschäft was aufgefallen? War vielleicht ein ungewöhnlicher Gast da, am Ende vielleicht ein Einheimischer, der sich irgendwie komisch benommen hat?»
«Ja, warum willst denn das wissen? Was ist denn passiert?» Beate war zwar redselig, aber sie war auch immer darauf bedacht, neues Futter zu bekommen. Sie war es gewohnt, Information gegen Information zu tauschen.
«Du, Beate, in ein paar Tagen kann ich dir alles erzählen. Du erfährst die ganze Geschichte als Erste», lockte Holzhammer. «Aber zuerst brauche ich dringend deine Hilfe. Bitte versuch, dich zu erinnern.»
«Na gut», sagte Beate etwas zögerlich. «Warte mal. Also die letzten zwei Wochen … also komische Gäste haben wir eigentlich die ganze Zeit.»
«Was heißt das?»
«Na, ich mein die mit ihren Stöcken und ihren Baseball-Käppis. Ohne
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