Die Homoeopathie-Luege
Millionen Euro kostet die Kassen ja nicht viel â gemessen am dreistelligen Milliardenbetrag, den die Versicherer insgesamt für Ãrzte, Kliniken, nichthomöopathische Arzneimittel und weitere Leistungen hinblättern. Ein bisschen Wettbewerb, ein bisschen Spielraum und eine bisschen Farbe und Vielfalt im grauen Gesundheitssystem â was soll daran schon problematisch sein? Erst recht, wenn doch so viele Homöopathie auf Kassenkosten haben wollen?
Problematisch ist daran vor allem zweierlei: Erstens befeuern Kassen, die ihren Leistungskatalog allzu sehr an der Maxime des »Haben-Wollens« ausrichten, eine anspruchsvolle, aber letztlich völlig unkritische Haltung, die sich unter Versicherten jetzt schon verfestigt hat: die Ãberzeugung, dass nur zählt, wie viele verschiedene Leistungen eine Kasse anbietet, und dass es nachrangig ist, ob man durch diese Leistungen auch nachweislich gesünder wird. Versicherte, die daran glauben, werden künftig einfach nur verfolgen, welche Kasse den prallsten Katalog hat, und nicht, welche mit ihren Leistungen die belegtermaÃen besten Heilungschancen bietet. Ironischerweise würden in diesem Spiel ausgerechnet die Versicherungen verlieren, die ihre Leistungen konsequent daran ausrichten, was den Patienten nachvollziehbar am meisten nützt. Dagegen bestünde die Gefahr, dass solchen Kassen die Versicherten zulaufen, die alles Mögliche erstatten, sofern sich dafür nur genügend Interessenten finden.
Zweitens konterkariert die bereitwillige Erstattung von Homöopathie die Anstrengungen der Kassen sowie des Gesetzgebers, transparenter zu begründen, warum manches bezahlt wird und anderes eben nicht: Bei neuen und in der Regel teuren patentgeschützten Medikamenten müssen deren Hersteller seit Kurzem Belege beibringen, dass Patienten durch ein angeblich innovatives Mittel tatsächlich einen gröÃeren Nutzen haben als durch die bisher verfügbaren Therapien: dass Kranke mit diesem Arzneimittel beispielsweise weniger Schmerzen haben, seltener einen Herzinfarkt bekommen oder sogar länger leben. Andernfalls gibt es weniger Geld als vom Hersteller gewünscht von den Kassen. Und selbst die vielen Medikamente, die schon seit Jahren auf dem Markt sind, bei denen aber trotzdem längst nicht immer klar ist, wie sehr sie Patienten unterm Strich nützen, werden ganz allmählich durch Auswertung wissenschaftlicher Studien überprüft.
Angesichts eines so hohen Gutes wie der eigenen Gesundheit haben Versicherte unserer Meinung nach ein Recht darauf, so transparent wie irgend möglich nachzuvollziehen, ob die Leistungen einer Kasse die Chance bieten, dadurch tatsächlich gesünder zu werden. Auf dieser Basis kann sich ein Interessent sinnvoll und bewusst für eine von ihnen entscheiden. Diese Basis wird zur Verfügung gestellt durch wissenschaftliche Forschung, die zum einen weitestgehend klärt, was eine Therapie mit dem eigenen Körper anstellt, und zum anderen sauber belegt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man davon gesundheitlich profitiert. Von beidem ist die Homöopathie jedoch weit entfernt.
Das Engagement der Kassen für unwissenschaftliche Verfahren schafft eine Zwei-Klassen-Medizin der besonders problematischen Art: auf der einen Seite die Patienten, denen etwas verweigert wird, weil es keinen wissenschaftlich belegten Nutzen oder gar Mehrnutzen im Vergleich zu anderen Therapien hat. Auf der anderen Seite die Patienten, die Leistungen bekommen, weil sie selbst und gut organisierte Lobbyvertreter es so wollen â unabhängig davon, ob die Leistungen einen nachgewiesenen Nutzen haben. Was soll ein Diabetiker davon halten, dass seine Kasse auf der einen Seite sein teures Medikament nicht bezahlt und sich darauf beruft, dass die angeblich groÃen Vorteile des teuren Mittels wissenschaftlich nicht belegt seien â wenn dieselbe Kasse gleichzeitig Homöopathie bezahlt.
Bei Patienten kann eine so intransparente Entscheidung wie die Kostenübernahme für die Homöopathie den bitteren Nachgeschmack hinterlassen, dass sich Entscheidungen über Kassenleistungen im Wesentlichen auf zwei Pfeiler stützen: auf die energische Lobbyarbeit ausgewählter Interessengruppen und auf die Willkür der Kassen. Ein aus unserer Sicht fataler Eindruck in einem ohnehin unübersichtlichen Gesundheitssystem, das sich schon jetzt mit einer massiven »gefühlten« Ungerechtigkeit
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