Die Homoeopathie-Luege
Drogerien Vitamine und Sportgeschäfte Mittel für die Muskelmast verkaufen? Dass die Gesetze es nun mal so wollen, wie im folgenden Kapitel »Der Kniefall der Politik« erläutert wird, kann nicht wirklich befriedigen, denn auch Gesetze sollten nachvollziehbar sein.
Fragt man Apotheker, verteidigen sie ihre Hoheit über die Globuli verständlicherweise. Sina Petritch etwa sieht sich als »Anlaufstelle für Kranke«. Sie wache darüber, dass der Kunde sich notfalls in ärztliche Behandlung begibt. Könnte er sich die Kügelchen in der Drogerie holen, fiele diese Kontrolle weg. Ãhnlich sieht das Ursula Sellerberg von der ABDA. Nur: Wieso sind dann Vitamine und Pflaster, Heilsteine und Ohrkerzen, Kreuze und Heiligenbildchen und vor allem Telefonverbindungen zur niederschwelligen Kontaktaufnahme mit Fernheilern und Astrologen nicht auch mit der Apothekenpflicht belegt? Solche Produkte und Dienstleistungen verhindern ja schlimmstenfalls ebenso, dass ernsthaft Kranke einen Arzt konsultieren.
Was also könnte wirklich hinter der Apothekenpflicht für  Homöopathika stecken? Wir vermuten eine Gemengelage verschiedener Interessen: Der Apotheker verdient zwar nicht viel an seinem Kügelchen-Service, zumindest nicht, wenn er die Sache ernst nimmt und die Kunden ausführlich berät, aber er kann im persönlichen Gespräch die Kundenbindung stärken. Die homöopathische Pharmaindustrie profitiert dagegen ganz direkt von der Apothekenpflicht, die ihren Produkten quasi ein Gütesiegel verleiht. Die Wirksamkeit der Hoch- und Niederpotenzen wird damit amtlich, denn wozu, mag sich der Kunde fragen, sollte etwas unter die Kontrolle von Fachleuten gestellt werden, wenn es gar nichts bewirkt?
Im Grunde, so lässt sich folgern, wird die Homöopathie durch einen Kreislauf aus Nachfrage und Angebot am Leben erhalten: Patienten fragen nach Mitteln, die vor allem nicht schaden. Ãrzte und ganz besonders Apotheker wollen ihnen den Gefallen gern tun, da sie ebenfalls die Risiken unerwünschter Nebenwirkungen scheuen und auÃerdem auch als Unternehmer denken müssen. Also empfehlen sie Homöopathika. Doch wenn sie das tun, geben sie den Mitteln automatisch ihren fachlichen Segen. Die Patienten fühlen sich bestätigt, was wieder neue Nachfrage produziert. Für die Pharmaindustrie ist es so ein Leichtes, diesen Kreislauf, der von Kammern, Verbänden und Medien kaum gestört oder sogar unterstützt wird, mit Werbung und gezielter »Hilfestellung« für das Fachpersonal immer wieder anzukurbeln (siehe Kapitel 5).
Apotheker vergessen dabei jedoch leicht, was ihre eigentliche Aufgabe wäre: Sachverhalte mit ihrer Expertise zu bewerten. Wie also könnte ein Apotheker diesen Spagat zwischen Fachwissen und Kundenwunsch meistern? Wer sich auf seine Ausbildung besinnen und Kunden trotzdem nicht unverrichteter Dinge wieder wegschicken möchte, könnte es beispielsweise halten wie Daniela Biermann, die Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung . Als sie in einer Apotheke arbeitete, sagte sie Kunden, die nach Homöopathie fragten, sie kenne sich mit dieser Therapierichtung nicht so gut aus. Wenn ein Patient aber einen konkreten Präparatewunsch habe, könne sie ihm dies bestellen.
Die Mühe, die unterschiedlichsten Substanzen in definierten Potenzen zu bestellen, könnte ein Apotheker sich jedoch sparen, da er bei Licht betrachtet auch mit einer einzigen Sorte Globuli auskäme. Denn erstens ist es pharmakologisch einerlei, mit welcher Ausgangssubstanz das Potenzieren begonnen wurde: Beim Patienten kommt am Ende ohnehin keine echte Wirkung an. Und zweitens ist es bei einem Placebo unerheblich, gegen welches Leiden man das Mittel einsetzt. Wünschte also ein Kunde gegen ein erkennbar harmloses Wehwehchen etwas »Sanftes«, könnte der Apotheker ihm die Globuli geben und sagen: »Nehmen Sie das. Es hilft gegen alles.« Wenn er allerdings ganz ehrlich wäre, müsste er ihm sagen: »Sie brauchen nichts. Das wird auch von allein wieder.«
Während so eine Aussage hierzulande beinahe ketzerisch anmutet, ist sie in anderen Ländern gute Praxis. So berichtete eine angehende Apothekerin von ihrem homöopathie-freien Alltag in der 1300-Seelen-Gemeinde Siglufjördur im Norden Islands in der Pharmazeutischen Zeitung (52/2010): »Homöopathie und andere alternative Heilmethoden sind noch nicht sehr lange im Land bekannt und
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