Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
erreichte. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Klicken und schwang lautlos auf, als sie näher kam. Ein Schimmer huschte durch den Raum, und in dem eben noch vollkommen leeren Kamin loderte ein fröhliches Feuer auf. Die Vorhänge zogen sich zurück und gewährten einen freien Blick auf die Hauptstraße von Mecepheum. Selbst die Schubladen in dem prachtvoll mit Schnitzwerk verzierten Mahagonischreibtisch öffneten sich klickend in rasend schneller Folge. Die Waffen an den Wänden, Schwerter, ein Morgenstern und eine Hellebarde, schimmerten, als wären sie gerade erst vom Staub befreit worden. Sie alle bestanden jedoch nicht aus Stahl, sondern aus fein gemasertem Holz. Jede Einzelne von ihnen war irgendwann in der Vergangenheit gegen Rheah geschwungen worden und hatte aus scharfem Stahl bestanden, bevor ihre Magie sie zu harmlosem Schnitzwerk gemacht hatte.
Als die junge Frau über die Schwelle auf den dicken Teppich trat, sah der ganze Raum aus, als hätte ihn ein Bataillon von Dienern stundenlang für diesen Moment vorbereitet. Letzten Endes gab es eben doch einige willkommene Begleiterscheinungen, wenn man eine Hexe war.
Schließlich wusste Rheah keinen Fluch mehr, den sie noch vor sich hin murmeln konnte. Sie ging wütend um den Schreibtisch herum, warf sich zornig in den weich gepolsterten Stuhl …
… und erstarrte mitten in einem letzten Fluch, als sie die Gestalt sah, die auf der anderen Seite des Raumes saß, direkt gegenüber von ihr.
Der Mann trug dunkles Leder, das durch lange Pflege und Nutzung im Lauf der Jahre weich und matt geworden war. Der schwere Umhang um seine Schultern, den er locker über den Arm gelegt hatte, war durchaus geeignet, die eisigen Winterstürme abzuhalten. Der Eindringling hatte die Kapuze aufgesetzt, weshalb sein Gesicht im Schatten lag. Seine linke Hand ruhte auf einer großen Streitaxt, und mit den Fingern strich er müßig über die flache Seite der Klinge.
Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte sich Rheah Vhoune von etwas überrascht. Und das war, entschied sie nach kurzem Nachdenken, keine sonderlich angenehme Erfahrung.
»Wie bist du an den Schutzzaubern vor der Tür vorbeigekommen?«, erkundigte sie sich. Dabei zwang sie sich, übernatürlich ruhig zu klingen.
»Mit erheblicher Mühe.«
Die Stimme des Fremden klang ein bisschen rau, und auch wenn die Hexe nicht direkt behaupten konnte, sie komme ihr bekannt vor, schlug sie lang verschollene Glocken im hintersten Winkel ihres Verstandes an.
»Ihr seid wirklich hervorragend, Mylady. Eine der Besten, die ich jemals erlebt habe.« Der Eindringling machte eine nachdenkliche Pause. »Obwohl ich sagen muss …« Pause. »Die Kaufmannsgilde? Das scheint mir so gar nicht zu Euch zu passen.«
»Du kennst mich also gut, hab ich recht?« Rheah entspannte sich und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Ihr anfänglicher Grimm verwandelte sich in eine Mischung aus Ärger und Neugier, die nur von einem Hauch Furcht gewürzt war. Mit ihren Fähigkeiten hätte sie jeden normalen Attentäter mit Leichtigkeit erledigen können, aber dass dieser Mann in ihr Arbeitszimmer eingebrochen war, ohne auch nur einen ihrer Schutzzauber auszulösen, deutete darauf hin, dass er alles andere als normal war.
»Besser, als Ihr vielleicht glaubt, Lady Rheah.«
Die Zauberin lächelte. »Das Gleiche könnte ich behaupten. Du kannst die Kapuze ruhig abnehmen, Lord Rebaine. Du kannst dich schwerlich für immer hinter ihr oder gar deiner albernen Schädelmaske verbergen.«
Es bereitete ihr kein geringes Vergnügen, zu sehen, wie die Gestalt auf dem Stuhl zusammenzuckte. Die freie Hand des Mannes umklammerte die Armlehne so fest, dass das Holz knarrte, und er beugte sich vor, als litte er Schmerzen. Dann atmete er vernehmlich aus und schob langsam die Kapuze zurück.
Rheah war nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber irgendwie war dieser grauhaarige, hagere Mann vor ihr, dessen beste Zeit ein paar Jahre hinter ihm lag, nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte.
Dann sah sie ihm in die Augen und wusste, dass er tatsächlich Corvis Rebaine war, der Schrecken des Ostens. Und zwar nicht, weil sein Blick kalt, gefühllos oder grausam war, wenngleich sie nicht daran zweifelte, dass er all dies und mehr sein konnte. Es war vielmehr die subtile Spur von Entsetzen, das tief in diesen Augen lauerte. Ein Widerwille, ein Ekel, den Rebaine selbst vermutlich schon lange vergessen hatte, ein Entsetzen über all die Gräuel, die er begangen
Weitere Kostenlose Bücher