Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
Toten weiteratmen zu können, hat versucht zu verhindern, dass ihr Blut ihm in die Augen und den Mund lief, und das über mehrere Stunden hinweg, bevor jemand ihn gefunden hat.«
Mellorin war totenbleich geworden, und ihre Lippen zitterten. »Ich hatte ja keine Ahnung …«
»Das ist auch nichts, worüber dein Onkel gerne redet, obwohl jeder, der damals in Adelskreisen unterwegs war, die Geschichte schon mal gehört hat. Jassion ist ein gebrochener Mann. Ich glaube nicht, dass er jemals wieder eine vollkommen rationale Persönlichkeit sein wird, obwohl wir hoffen dürfen, dass seine Wut sich ein wenig abkühlt, sobald er deinen Vater endlich erwischt hat.«
»Und du?« Die Verbitterung, die ihre Worte durchtränkte, war nicht zu überhören. »Was ist deine Entschuldigung?«
»Meine?«
»Der Oger war keine Bedrohung für uns, Kaleb! Ich verstehe jetzt, warum Jassion ihn trotzdem ermordet hat. Nun möchte ich nur noch wissen, warum du ihn nicht aufgehalten hast.«
»Ich könnte jetzt antworten, dass mir das nicht zustand«, erwiderte Kaleb gedehnt. »Dass ich, obwohl es anders aussehen mag, bei dieser Expedition der Diener bin und nicht der Herr. Ich könnte es«, wiederholte er und legte ihr einen Finger auf die Lippen, als sie ihn unterbrechen wollte, »aber das werde ich nicht tun.«
»Warum nicht?«
»Erinnerst du dich noch, was ich dir über meine Magie erzählt habe? Darüber, dass ich noch nie wirklich Angst gehabt habe?«
Sie nickte.
»Ich habe mich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, die Dinge möglichst, sagen wir mal, effektiv zu erledigen«, gab er zu. »Wenn du mehr Macht hast als alle anderen, dann beginnst du irgendwann, die Menschen einfach nur als Probleme zu betrachten, die gelöst werden müssen. Ich habe schon häufig getötet, Mellorin. Manchmal sogar auch, ohne so stark provoziert worden zu sein wie dein Onkel.«
»Und, geht’s dir damit gut?«, wollte sie wissen.
Er stellte sich in die Steigbügel, beugte sich zu ihr herüber und legte ihr eine Hand auf den Armen. »Früher schon«, erwiderte er, »aber jetzt, glaube ich, möchte ich mich gern bessern.«
Ja, dachte er, als Mellorin vergeblich versuchte, ein schüchternes Lächeln zu unterdrücken. Ich glaube sogar, dass ich auf dem besten Weg bin, mich zu verbessern.
Kurz darauf stolperten sie geradezu über ihr Ziel, als sie eine Anhöhe zwischen zwei großen, grasbewachsenen Hängen erklommen, die nur ein winziges bisschen zu niedrig war, um zur Gebirgskette des Cadriest-Massivs gezählt zu werden.
Das Tal breitete sich vor ihnen aus wie eine riesige Handfläche von üppigem Grün und strahlendem Gold, die sich am Rand wellte, wo die Hügel keine gerade Grenze zogen. Eine idyllische Hütte duckte sich schüchtern im Schatten des linken Flügels, und dahinter befand sich ein Pferch mit einem schlichten, aber soliden Zaun aus Holzpfosten. Er war groß genug, um eine riesige Herde Nutzvieh aufzunehmen – oder einen ungewöhnlich lustlosen Drachen.
Wie sich herausstellte, war es glücklicherweise Ersteres.
Ganze Scharen von Schafen, Ziegen und die eine oder andere Kuh waren in dem Pferch, auf beiden Seiten des Zauns und auch jenseits des offenen Tors. Allein die Tiere boten den Neuankömmlingen einen Anhaltspunkt, um die Größe des Anwesens einschätzen zu können.
»Man könnte in diesem Haus einen Maskenball abhalten«, murmelte Mellorin nach einer Weile.
Kaleb zuckte mit den Schultern. »Die Gästeliste würde ich zu gerne sehen.«
»Und wir sind sicher, dass Davro hier lebt?«
»Ich denke schon«, antwortete Jassion. »Selbst wenn Kaleb den Zauber vermasselt haben sollte«, der Hexer verbeugte sich spöttisch bei den Worten des Barons, »kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendein menschlicher Einsiedler fünf Meter hohe Decken benötigt.«
»Ich weiß«, gab sie zu. »Mir kommt es hier nur nicht sonderlich ogerisch vor.«
»Bist du sicher, dass es so heißt und nicht ›ogrisch‹?«, fragte Kaleb sie. »Oder vielleicht sogar ›ogresk‹?«
Mellorin grinste, und Jassion sah aus, als würde er gleich jemanden oder etwas erwürgen wollen. »Seid ihr zwei bald fertig?«
»Wohl eher nicht«, erwiderten Kaleb und Mellorin im Chor.
Der Baron setzte sich in Richtung Haus in Bewegung, wobei er mindestens ein Dutzend verschiedene unflätige Flüche ausstieß. Lachend folgten ihm die beiden anderen.
»Da kommt kein Rauch aus dem Schornstein«, sagte Jassion, nachdem er den letzten Fluch ausgestoßen hatte. »Aber es
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