Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
den langen Weg, der sich noch vor ihnen erstreckte und sie von dem Mann trennte, den er mehr hasste als alles andere auf der Welt. An manchen Tagen schien es, als wäre die Besessenheit des Barons eine fassbare Barriere, die er um sich aufgebaut hatte, wie eine Wand, die ihn vom Rest der Welt trennte.
Aber Kaleb kümmerte dieser wütende Adelige nicht sonderlich. Nein, er würde seine Fürsorge und seine komplette Aufmerksamkeit für Mellorin reservieren. Hätte er sich nicht dafür entschieden, wäre ihm möglicherweise die Schönheit der Gegend aufgefallen.
Die junge Frau hatte sich seit ihrer Begegnung mit dem Oger völlig in sich zurückgezogen. Ihr Umhang war zu einem
Kokon geworden, zu einer Sicherheitsdecke, einem Bollwerk gleich, und ihr Pferd war eine Insel in einer ansonsten leeren See. Sie sprach nur dann mit ihren Gefährten, wenn es unbedingt sein musste, und sie richtete ihre Fragen und Bemerkungen ausschließlich an ihren Onkel, obwohl sie offensichtlich wütend auf ihn war. Sie hatte in den letzten Tagen Kalebs Blicke so gut wie nie erwidert, obwohl sie ihm ständig kurze Seitenblicke zuwarf, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.
Der Hexer musste, nachdem er viele Nächte darüber nachgedacht hatte, schließlich zugeben, dass er nicht den blassesten Schimmer hatte, wie er mit ihr umgehen sollte. Er besaß zweifellos viele Talente und hatte ein ungeheures Wissen, das weit umfassender war, als seine beiden Gefährten auch nur vermuteten, aber das exzentrische Verhalten junger Frauen überstieg einfach seinen Horizont.
Er ließ sich absichtlich zurückfallen und erlaubte seinem Pferd, im Schatten der herbstlich gefärbten Bäume ein bisschen zu grasen, weshalb Jassion ein Stück vorausreiten konnte. Dann erschreckte er sein Pferd, als er unvermittelt an den Zügeln riss und es neben Mellorins Zelter lenkte.
Aber sie wollte ihn immer noch nicht anblicken.
»Hier ist es wunderschön, nicht wahr?«, fragte er und deutete in die Ferne, als könnten sie über die Hügel hinwegsehen, die sich wie verspielte Kinder zu den Füßen der Gebirge erstreckten. »Selbst ein Mensch kann verstehen, warum die Oger sich hier heimisch fühlen.«
Schweigen folgte auf seine Worte, das nur von dem Geschrei irgendwelcher kreisender Vögel und dem Brüllen irgendeines weit entfernten Tieres unterbrochen wurde.
»Mellorin«, sagte er noch leiser, »wirst du irgendwann wieder mit mir sprechen?«
Sie schnüffelte nur kaum hörbar, und Kaleb wollte schon
gereizt an den Zügeln ziehen und sich abwenden, als er begriff, dass dieses Geräusch keine Verachtung, sondern erstickte Trauer war.
»Willst du wirklich um einen Oger weinen?« Allein der zärtliche Tonfall verhinderte, dass seine Frage wie eine Anklage klang.
Endlich drehte Mellorin ihm ihr Gesicht zu, das bisher von der Kapuze verborgen worden war.
»Ich verstehe das alles nicht«, erklärte er. »Ich habe dich kämpfen sehen, als die Männer von Losalis uns angegriffen haben.«
Sie nickte. »Genau die Tatsache, dass du und mein Onkel keinen Unterschied darin seht, macht mir zu schaffen. Bei allen Göttern!«
Er beobachtete, wie sie die Hände auf den Bauch presste, als müsste sie die Emotionen, die sie zu überwältigen drohten, körperlich unterdrücken.
»Bei allen Göttern, Kaleb, sind denn alle auf dieser Welt wie er? Ist mein Vater einfach nur ehrlicher in dem, wie er ist?«
Eine Weile kämpfte der Hexer darum, die richtige Antwort zu geben, weil er wusste, dass ihn die falsche teuer zu stehen kommen konnte. »Mellorin«, sagte er schließlich, »weißt du, was Corvis Rebaine deinem Onkel angetan hat?«
»Ich weiß, dass Jassion noch ein Kind war, als Denathere fiel. Und ich weiß auch, dass er mit angesehen hat, wie mein Vater mit meiner Mutter verschwunden ist.«
»Die Männer deines Vaters sind nicht mit ihm zusammen geflüchtet. Zuerst haben sie alle, die in der Halle der Zusammenkunft waren, grausam abgeschlachtet. Adelige, Gemeine, Männer und Frauen, alle.«
»Aber … Jassion?«
»Der Großmeister der Schreibergilde von Denathere hat
ihn gerettet. Er hat den kleinen Jassion mit seinem eigenen Körper geschützt.« Kaleb schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, ist der alte Jeddeg der einzige Gildenmeister, von dem Jassion früher mal respektvoll gesprochen hat. Mellorin, dein Onkel hat als kleiner Junge in einer Grube voller Leichen ausgeharrt, und er war jede einzelne Sekunde bei Bewusstsein. Er hat darum gekämpft, unter dem Gewicht der
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