Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
verschwundenen Bruder bereits gefunden hatten.
Und Jassion, wo er schon mal dabei war.
Die Aufzählung hätte selbst den optimistischsten Menschen deprimiert.
Viele Stunden lang nahm Corvis weder die Straße vor sich
noch die Mähne des Pferdes wahr, die ihm ins Gesicht wehte. Er sah nur das Bauernhaus, das kaum eine Meile vom Dorf entfernt lag und in dem sie Mellorin in einer gemieteten Tenne zurückgelassen hatten, wie Jassion geschworen hatte.
Dem war aber nicht so. Genau genommen hatten sie keinerlei Anzeichen von irgendjemandem in dem Gebäude entdeckt, weder von Mellorin noch von den Besitzern. Corvis wäre am liebsten dageblieben und hätte das Haus auseinandergenommen, notfalls sogar die ganze Ortschaft, und das mit bloßen Händen, ganz gleich, ob es Stunden oder Tage gedauert hätte. Mit Freuden hätte er sein Leben Khanda ausgeliefert, um sein kleines Mädchen nicht in den Klauen des Dämons zu belassen. Als seine Gefährten versucht hatten, ihn von seiner Suche abzulenken und zu fliehen, bevor die Kreatur sich befreite, hatte er tatsächlich nach Spalter gegriffen.
Erstaunlicherweise waren weder Irrial noch Seilloah, sondern Jassion zu ihm durchgedrungen. »Rebaine, wenn diese Kreatur uns findet, wird sie uns abschlachten, uns alle. Glaubst du wirklich, es spielte für ihn eine Rolle, ob Mellorin bei uns ist oder nicht? Solange sie ihm nützt, wird er sie am Leben lassen. Willst du derjenige sein, der sie in seinen Augen von einer Verbündeten zur Feindin macht?«
Obwohl Corvis vor Enttäuschung weinte und darauf brannte, den Hals des Barons zwischen seinen Fingern zu spüren, waren sie daraufhin weitergeritten. Sie waren auf gestohlenen Pferden geflohen, und schon bald hatte der alte Krieger erfahren müssen, dass er sich auf dieser Reise nicht so leicht vergessen konnte. Denn jeder Schmerz, dem er entkam, wurde von einem neuen ersetzt.
Ihm taten alle Glieder weh. Sein Rücken quälte ihn förmlich, vor allem dort, wo er auf die Trümmer gestürzt war,
und jeder Hufschlag des Pferdes machte alles nur noch schlimmer. Sein Kiefer pochte vor Schmerz, die Risswunde auf der Stirn juckte, und sein Bauch tat weh, wo die Spitze von Kralle ihn geritzt hatte, nachdem die Waffe Khanda durchbohrt hatte. Dank Kassek und Panaré war es nur die Spitze gewesen, denn der Kholben Shiar tötete schnell. Corvis hatte darauf verzichtet, Jassion zu fragen, ob er vorgehabt hatte, sie beide aufzuspießen, weil er sich ziemlich sicher war, dass er die Antwort kannte.
All dies hätte Corvis bewältigen können. Es waren vielmehr die Wunden in seiner Seele und seinem Verstand, die ihn zur Strecke zu bringen drohten. Er konnte die Erinnerung an Khandas widerliche Präsenz in seinem Kopf einfach nicht abschütteln. Er fühlte sich schmutzig, vergewaltigt. Er hätte schwören können, dass etwas Glattes, Widerliches an ihm klebte, jeden seiner Gedanken überzog. Jedes Mal, wenn er versuchte vernünftig nachzudenken, empfand er höllische Schmerzen, und sich einfach nur zu erinnern brannte wie eine entzündete Wunde. Selbst wenn er sich Mellorin vorstellte und sich Sorgen machte, wie es sein Recht als Vater war, überkam ihn ein Schmerz, der beinahe nicht zu ertragen war. Corvis war nie besonders religiös gewesen, aber jetzt betete er leise und flehte die Götter an, ihn zu heilen, bevor das Gift in seiner Psyche sich zu einer Demenz entwickelte.
Immerhin schien wenigstens die Stimme, die seit Jahren in seinem Verstand gejammert und sich in den letzten Wochen immer häufiger gemeldet hatte, verstummt zu sein. War es wirklich nur ein Rest gewesen, der zu dem wiederauferstanden Dämon zurückgekehrt war? Oder war es seine Einbildung gewesen, das erste Zeichen eines zerbrechenden Verstandes, der nun unter einer noch geschmackloseren Krankheit litt? Corvis wagte nicht einmal eine Vermutung,
außerdem schmerzte es viel zu sehr, auch nur darüber nachzudenken. Er wusste lediglich, dass es keineswegs eine Verbesserung war, wenn er das Phantom von Khanda gegen den echten Dämon austauschte.
Er drehte sich im Sattel um, stöhnte und presste die Hände auf den Bauch, als er sich zu den anderen umblickte. Die Wolken schienen ihnen aus der Stadt zu folgen. Flohen sie etwa auch vor Khandas Gegenwart? Jedenfalls hing die ganze Zeit über ein Nieselregen in der Luft, der einen klebrigen Schleier bildete. Der Mond war nur eine glänzende Scheibe hinter den Wolken und behielt sein Licht egoistisch für sich. Hätte er nicht die Hufschläge
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