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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Traurig, aber wahr: Es fiel ihm leichter, kühl und analytisch zu bleiben, wenn es sich bei den Opfern um Menschen handelte, die nicht ganz »dazugehörten« - leichte Mädchen, offensichtliche Schwule oder, in manchen Fällen, auch Ausländer. Aus Bequemlichkeit klassifizierte er die Menschen.
    Dr. Odoms Theorie von Serienmorden mit homosexuellem Hintergrund geriet indessen zunehmend ins Wanken. Bei diesem Opfer handelte es sich nämlich um Senator Ken Butler aus Raleigh. Dr. Odom wäre nie und nimmer auf den Gedanken gekommen, daß dieser äußerst beliebte Sprecher der schwarzen Bevölkerung in irgendeiner Weise ein abweichendes Verhalten hätte an den Tag legen können. Auch sagte ihm seine lange Erfahrung, daß homosexuelle Politiker nicht gerade durch die Straßen der Innenstadt fuhren, wenn sie nach Jungen Ausschau hielten. Sie sahen sich in öffentlichen Parks oder Herrentoiletten um, Plätzen also, die ihnen stets die Chance ließen zu beschwören, sie hätten sich weder selbst offenbart noch sich anderen eindeutig genähert, sondern nur uriniert.
    Dr. Odom zog den Reißverschluß über dem blutigen Bündel nacktem Fleisch und der Sanduhr zu, die ihm in grellem Orange entgegenleuchtete. Er richtete sich auf, sah Hammer an und schüttelte den Kopf. Sein Rücken tat ihm weh. Brazil hatte die Hände in den Taschen und schaute in den Maxima. Er wollte nichts versehentlich berühren und keine Fingerabdrücke hinterlassen. So etwas konnte das Ende einer Karriere bedeuten, ihn möglicherweise gar zum Verdächtigen machen. War er nicht jedesmal zufällig in der Gegend, wenn so eine Leiche gefunden wurde? Nervös sah er sich um. Ob dieser Umstand vielleicht schon jemandem mal vage durch den Kopf gegangen war? Dr. Odom verkündete Hammer und West seine Meinung.
    »Mein Gott, ein verdammter Alptraum ist das«, sagte er. Er zog die Handschuhe aus und wußte nicht, wohin damit. Wo war ein Behälter für medizinischen Abfall? Er begegnete Denny Raines' Blick und nickte. Der junge Sanitäter, groß und gutaussehend, kam zusammen mit einem Kollegen und der Bahre heran. Er zwinkerte West zu. In ihrer Uniform war sie ein hinreißender Anblick. Sehr sexy und einfach überwältigend. Aber auch Hammer war nicht zu verachten. Brazil fixierte Raines. Ihn beschlich ein seltsames Gefühl, als er sah, wie dieser Riese von einem Sanitäter West und Hammer begutachtete. Es machte Brazil plötzlich unruhig, und eine leichte Übelkeit stieg in ihm hoch. Erklären konnte er sich das nicht. Am liebsten würde er sich Raines in den Weg stellen und ihn herausfordern. Dann hätte die Sache ein Ende. Zumindest würde er Raines gern des Tatorts verweisen.
    »Jetzt gehört er Ihnen«, sagte Dr. Odom zu Hammer, während das Rollgestell der Bahre mit einem Klicken einrastete. »Ich werde den Medien gegenüber nicht das geringste durchblicken lassen. Wie immer. Jede Stellungnahme muß von Ihnen kommen.«
    »Die Identität des Opfers werden wir heute abend noch nicht preisgeben.« In diesem Punkt war Hammer eisern. »Nicht, bevor wir sie unwiderlegbar nachgewiesen haben.«
    Allerdings hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Der Führerschein des Opfers hatte auf der Beifahrerseite auf dem Boden gelegen. Hammer kannte die imposante Erscheinung des Senators, das graue Haar und den Spitzbart, das würdevolle Gesicht. Der Tod war unmittelbar nach den Schüssen eingetreten, so daß es keine Gewebereaktion auf die schweren Verletzungen gegeben hatte, keine Schwellung, kein Hämatom. Butler sah kaum anders aus als bei der Cocktailparty im Myers Park, wo Hammer ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sie war zutiefst erschüttert, aber zugleich entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Sie wandte sich an Brazil, der aufmerksam um den Wagen herumging und sich Notizen machte. »Andy«, sagte sie und faßte ihn am Arm. »Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, wie heikel das hier ist.«
    Er schwieg und sah sie an, als sei sie der Grund, dessentwegen die Leute jeden Sonntag zur Kirche gingen. Für ihn war sie Gott. Hammer merkte es nicht. Sie sah ins Wageninnere. Auf dem Rücksitz fiel ihr ein Aktenkoffer aus schwarzem Leder mit den goldenen Initialen K.O.B. auf. Er war wie auch die kleine Wochenendtasche und ein Kleidersack geöffnet worden. Der Inhalt lag achtlos herum, von mitleidloser Hand verstreut. In Gedanken stellte sie eine Inventarliste auf: Schlüsselbund, Taschenrechner, Erdnußtüte, US-Air-Tickets, Handy, Kugelschreiber und Füller,

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