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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wenn sie fort war und saß immer in seinem Fenster in der Küche über der Spüle, sah erwartungsvoll hinaus und fixierte das in den Himmel ragende US-Bank Corporate Center (USBCC). Aus seinen früheren Leben waren Niles die großartigsten Bauwerke aller Zivilisationen vertraut, die Pyramiden und wunderbaren Pharaonengräber, und in Niles Phantasie verkörperte das USBCC den Riesenkönig Usbeecee mit seiner Silberkrone. Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Majestät seine Fesseln lösen würde. Sich huldvoll nach allen Seiten wendend, würde er auf seine Untertanen herabblicken. Niles stellte sich vor, wie der König langsam mit schweren Schritten sich seinen Weg ertastete und zum ersten Mal die Erde erbeben ließ. In Niles weckte er Furcht und Ehrerbietung, denn der König lächelte nie. Diese Gabe besaß er nicht. Fiel Sonnenlicht in seine Augen, erstrahlten sie in purem Gold, und das war ebenso überwältigend wie das pure Gewicht des mächtigen Herrschers. König Usbeecee konnte The Charlotte Observer unter seinen Füßen zermalmen, das Police Department, das ganze LEC und auch das Rathaus. Er konnte die Heerscharen bewaffneter Officers mitsamt ihrem Chief und den Deputy Chiefs, den Bürgermeister und den Zeitungsherausgeber zu Staub zermahlen.
    Hammer stieg aus dem Wagen und verlor keine Zeit. Sie eilte an ihren Detectives und uniformierten Beamten vorbei und duckte sich unter dem selben Absperrband durch, das Hammer immer einen Stich versetzte und sie beklommen machte, ganz gleich, wo sie ihm begegnete. Sie war nicht in der Form, die sie sich gewünscht hätte, weil sie mehr bedrückte als sonst. Seit ihrem Ultimatum an Seth hatte sich ihr Lebensgefühl dramatisch verschlechtert. Heute morgen war er erst gar nicht aufgestanden, hatte etwas von Dr. Kevorkian gemurmelt und von einer Verfügung, nach der er im Falle einer unheilbaren Krankheit lebensverlängernde Maßnahmen ablehne. Auch von einer Gesellschaft für Humanes Sterben hatte er geredet. Feierlich hatte er verkündet, am Freitod sei nichts Egoistisches, schließlich habe jeder erwachsene Mensch das Recht auf Abwesenheit.
    »Um Himmels willen«, hatte sie gesagt, »steh auf und mach einen Spaziergang.«
    »Nein. Du kannst mich nicht zwingen. Ich muß nicht am Leben bleiben, wenn ich nicht will.«
    Nach dieser Äußerung hatte sie gleich sämtliche Schußwaffen von ihrem gewohnten Platz entfernt. Hammer hatte sich im Laufe der Jahre eine ganze Sammlung davon zugelegt und sie strategisch im ganzen Haus verteilt. Bei Wests Anruf vermißte sie noch ihren alten fünfschüssigen Revolver, den zuverlässigen .38er Smith & Wesson aus rostfreiem Stahl mit Pachmeyer-Griffstück. Sie war ziemlich sicher, daß er in der Schublade ihrer Frisierkommode im Badezimmer liegen mußte. Zumindest war er ganz bestimmt noch dort gewesen, als sie neulich vor einem Besuch ihrer Enkelkinder alle Waffen eingesammelt und in den Safe geschlossen hatte. Hammer hatte eine Menge Sorgen. Sie war deprimiert und versuchte so gut wie möglich, den Befürchtungen entgegenzutreten, die die Medien aller Bundesstaaten im Anschluß an die Pressekonferenz geäußert hatten. Politik war ihr zutiefst verhaßt. Eine Aufklärungsrate von einhundertfünf Prozent! Sie wünschte, Cahoon wäre jetzt hier an diesem gottverdammten Ort. So etwas müßte er sich mal ansehen. Die Cahoons dieser Welt würden nur hilflos dastehen, unfähig, auch nur einen Handschlag zu tun. Sie würden blaß werden und die Flucht ergreifen. Der Tote, der da blutüberströmt im dichten Unterholz neben den Eisenbahnschienen lag, umschwirrt von Glühwürmchen, das war die Wirklichkeit. Aber die eignete sich nicht für große Politikerauftritte oder zur Demonstration von Wirtschaftskraft und touristischer Attraktivität.
    Bis zu ihrer Ankunft am Ort der Tragödie hatte Hammer mit niemandem ein Wort gewechselt. Das flackernde Blaulicht verlieh ihren gequälten Zügen eine ungewohnte Härte. Sie ging auf West und Brazil zu, die neben dem Maxima standen. Wieder einmal mußte Dr. Odom einen Toten in einem Leichensack verstauen. Die Handschuhe des Gerichtsmediziners waren blutverschmiert, Schweiß lief ihm in die Augen. Aber er war die Ruhe selbst. Immer wieder hatte er es mit den grausamsten Sexualmorden zu tun gehabt, doch dieser Fall war anders. Dr. Odom war ein mitfühlender und zugleich harter Mann. Schon lange hatte er gelernt, nicht die Beherrschung zu verlieren und die Fälle nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen.

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