Die Hornisse
Er hatte schon von Blondie gehört und wollte dieses Plappermaul nicht in seinem Laden haben. Remus wußte genau, daß die drei Deluxe-Sandwiches, die er gerade erst zubereitet hatte, für Punkin Head bestimmt waren. Und jetzt beobachtete ihn dieses kaltblütig mordende Stück Scheiße da draußen wahrscheinlich von seinem Van aus und wartete nur darauf, daß er Blondie eine Tasse Kaffee servierte. Remus wartete hinter der Theke. In aller Ruhe schabte er seine Grillplatte sauber. Dann kochte er frischen Kaffee, briet ein paar Speckstreifen an und schlug den Observer auf.
Brazil hatte sich in einer Nische niedergelassen und die handgeschriebene, eingeschweißte Speisenkarte studiert. Die Preise waren vernünftig. Brazil merkte, daß ihn die Leute so feindselig anstarrten, wie er das noch nie erlebt hatte. Er lächelte sie an, als befände er sich in Tante Sarahs Pfannkuchenhaus. Auf die Weise verschaffte er sich einen gewissen Respekt. Es war für ihn undenkbar, sich von seiner Mission abbringen zu lassen. Da ging, für alle hörbar, sein Pieper los. Wie von der Tarantel gestochen, griff er danach. Die angezeigte Telefonnummer überraschte ihn. Er sah sich um und entschied, daß dies nicht der geeignete Ort war, um sein Handy hervorzuholen und das Büro des Bürgermeisters anzurufen. Also stand er auf, um zu gehen, besann sich aber eines anderen, als die Tür aufging, die Glocke darüber anschlug und die junge Prostituierte hereinkam. Brazils Puls schlug plötzlich einen Takt schneller. Ihm war nicht klar, was ihn an dieser Frau faszinierte, jedenfalls konnte er den Blick nicht von ihr wenden. Mitgefühl und Unbehagen hielten sich die Waage. Sie trug sehr kurz abgeschnittene Jeans, Sandalen mit Sohlen aus Autoreifen, und ein T-Shirt mit dem Aufdruck >Gnädiger Tod<. Die Ärmel waren ausgerissen. Ihre nackten Brüste darunter wippten bei jedem Schritt. Sie setzte sich mit dem Gesicht zu Brazil in die Nachbarnische. Herausfordernd sah sie ihm in die Augen, während sie das ungewaschene Haar zurückwarf. Remus servierte ihr Kaffee, bevor sie noch die Karte in die Hand genommen hatte. Mit Mühe studierte sie das Geschriebene. Die Zeilen tanzten vor ihren Augen wie eine Angelschnur über dem Wasser des Lake Algae, wie die Reichen von Davidson den Teich an der Ecke Griffith- und Main Street nannten. Ihr Daddy hatte sie ein paarmal zum Angeln dorthin mitgenommen. Damals war sie noch klein gewesen, und ihre Mom hatte noch nicht als Zimmermädchen im Best Western gearbeitet. Daddy war damals Fernfahrer bei der Southeastern und hatte unregelmäßige Arbeitszeiten. Mom war nicht immer zu Hause, wenn ihr Mann von einer langen Tour zurückkam.
Für Cravon Jones waren seine drei Töchter sein Eigentum, und auf welche Weise er ihnen seine Zuneigung zeigte, war allein seine Angelegenheit und sein Recht. Es war offensichtlich, daß er sich besonders zu Addie hingezogen fühlte. Addie war nach seiner verhaßten Schwiegermutter genannt worden. Sie war blond und hübsch. Vom Tag ihrer Geburt an war sie ein besonderes Kind gewesen. Sie schmuste gern und ausgiebig mit ihrem Daddy, den ihre Mutter stets abgelehnt hatte. Die kam einfach nicht gut aus mit ihrem Mann. Mrs. Jones war es leid, nach Hause zu kommen und dort diesem betrunkenen, ekelhaft stinkenden Mann zu begegnen, der sie schlug, herumstieß und ihr einmal sogar Nasen- und Jochbein gebrochen hatte. Die Töchter, und das war nur allzu verständlich, hingen aus Angst an ihm.
Als Addie fast elf war, kroch Daddy eines Nachts zu ihr ins Bett. Er roch nach säuerlichem Schweiß und Schnaps, und preßte sein hartes Ding an ihren Körper. Unter Blut und stummen Tränen drang er in sie ein. Addies Schwestern waren im selben Zimmer und hörten alles mit an. Niemand erwähnte jemals diesen Vorfall oder hielt ihn auch nur für wahr. Mrs. Jones spielte die Unwissende. Aber sie wußte sehr genau Bescheid. Addie las es in ihren Augen ab, an ihrem zunehmenden Alkoholkonsum und ihrer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Addie. Das ging so weiter, bis Addie vierzehn war und eines Abends fortlief, während Mrs. Jones arbeitete und Daddy irgendwo auf der Landstraße war. Addie kam gerade bis Winston-Salem. Hier begegnete sie dem einzigen Mann, der sich je um sie gekümmert hatte.
Seitdem hatte es viele Männer gegeben. Sie gaben ihr Kokain und Crack, Zigaretten oder Brathähnchen, was sie gerade wollte. Vor ein paar Monaten, sie war inzwischen dreiundzwanzig, war Addie dann in Charlotte aus
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