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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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vor dem Mann, den eine überwältigende Mehrheit gewählt hatte, den Bürgern der Stadt zu dienen. Sie legte auf, erhob sich von ihrem Stuhl und sah Brazil an. »Der Bürgermeister möchte Sie jetzt sprechen.« Brazil wußte nicht genau, was er davon halten sollte. Wie oft hatte er schon vergeblich versucht, den Bürgermeister Search für einen Kommentar oder eine Stellungnahme oder ein Interview zu gewinnen. Und jetzt hatte der Bürgermeister ihn angerufen. Würde er endlich seiner Bitte nachkommen? Aber welcher? Brazil wäre lieber etwas besser gekleidet gewesen, nicht mit diesen zu engen schwarzen Jeans. Zwischendurch hatte er die Herrentoilette aufgesucht und sich noch schnell das ausgewaschene rote Head-Shirt in die Hose zurückgestopft. Weil er ein paar Pfund abgenommen hatte, schlotterten ihm seine normalen Sachen am Leib, als trüge er Knastlook. Also hatte er in einer Schublade gewühlt, in der er noch Jeans und Hemden aus seiner High-School-Zeit aufbewahrte. Und die waren ihm, auch das Hemd, nun wieder ein wenig zu eng. »Wenn Sie nichts dagegen haben«, wandte er sich an die Sekretärin und stand von der Couch auf, »würde ich gerne wissen, gibt es einen besonderen Grund für dieses Interview? Oder wird mir heute nun das gewährt, worum ich, seit ich für den Observer arbeite, wiederholt gebeten habe?«
    »Ich fürchte, er kann nicht immer jedem auf der Stelle gerecht werden«, entschuldigte sie den Bürgermeister, wie sie es in all den Jahren so schön gelernt hatte.
    Brazil sah sie einen Moment lang an, zögernd, entdeckte dann etwas in der Art, wie sie den Blick abwandte. »In Ordnung«, sagte er. »Vielen Dank.«
    »Oh, bitte gerne.« Sie führte ihn zur Schlachtbank. Es war ihr Job, und sie brauchte ihn.
    Bürgermeister Search war ein distinguierter, gepflegter Mann: Er trug einen leichten grauen Sommeranzug nach europäischem Schnitt, dazu ein weißes Hemd mit dunkelgraublau gemusterter Paisley-Krawatte und passenden Hosenträgern. Er war hinter seinem Schreibtisch, einem riesigen Block aus Nußbaum, sitzen geblieben. Durch die breite Fensterfront hatte man einen Blick auf die Skyline der City. Das US Bank Corporate Center direkt hinter ihm war auf halber Höhe abgeschnitten. Die Krone konnte der Bürgermeister nur sehen, wenn er sich auf den Boden hockte und den Kopf angestrengt nach oben reckte.
    »Danke, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben«, sagte Brazil, als er Search gegenüber Platz genommen hatte. »Wie ich sehe, haben Sie eine interessante Position hier in unserer Stadt«, sagte Search.
    »Ja, Sir. Und ich bin sehr dankbar dafür.«
    Search hatte den Eindruck, daß dieser junge Mann keiner von diesen typischen neunmalklugen Reportern war, mit denen er es sonst von früh bis spät zu tun hatte. Der Junge hatte die blauäugige Unschuld eines Billy Budd oder eines Billy Graham. Er war höflich, respektvoll und engagiert. Search wußte um die große Gefahr, die von dieser Sorte Menschen ausging. Sie waren bereit, für eine Sache zu sterben, gaben alles für Jesus Christus, folgten einer höheren Berufung, handelten ohne Ansehen der Person, glaubten an den brennenden Dornbusch und ließen sich nicht von Potiphars Frau zur Sünde verführen. Dieses Gespräch würde schwieriger werden, als Search erwartet hatte.
    »Ich möchte Ihnen etwas sagen, mein Sohn«, hob Search ernst und überheblich, wie es seine Art war, zum Vortrag an. Dieser junge Bursche konnte schließlich von Glück sprechen, daß der Bürgermeister überhaupt Zeit für ihn übrig hatte. »Niemand ist unserem Police Department mehr verbunden als ich. Aber Ihnen ist, so hoffe ich, doch auch klar, daß jedes Ding seine zwei Seiten hat?«
    »Gewöhnlich sogar mehr, Sir. Nach meiner Erfahrung jedenfalls«, sagte Brazil.
    Hammer unterhielt sich mit Horgess in ihrem Vorzimmer und wartete auf West und die Videoaufnahme. Und sie hoffte inständig, daß sich Mungos Vermutungen bestätigten. Vielleicht wendete sich für sie das Blatt ja diesmal zum Guten.
    »Es reicht jetzt, Fred«, sagte sie zu Horgess. Sie stand an einer Ecke seines Schreibtisches, die Hände in den Taschen ihrer tabakbraunen Hose vergraben.
    »Es ist so ein schreckliches Gefühl, Chief Hammer. Ich kann nicht fassen, daß ich so etwas getan habe. Sie haben mir vertraut, und ich sollte Ihnen das Leben erleichtern, Ihnen ein ergebener Helfer sein. Und was habe ich gemacht, kaum, daß ein bißchen Streß aufkam?« Man hörte, wie sehr er sich selbst verachtete. In

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