Die Hornisse
Cop«, korrigierte er. »Aha. Das waffenlose Wundertier.«
»Sie könnten mir Schießunterricht geben«, meinte er. »Mein Vater hat mich immer zu einer Müllhalde auf dem Land mitgenommen.«
»Da hätte er Sie lassen sollen«, sagte sie.
»Wir haben mit seiner .38er auf Konservendosen geschossen.«
»Wie alt waren Sie damals?« fragte West. Sie waren an der Auffahrt zu seinem Haus angekommen.
»Beim erstenmal war ich sieben, glaube ich.« Den Blick am Boden und die Hände in den Taschen ging er weiter. Das Licht einer Straßenlaterne reflektierte in seinem Haar. »Muß wohl in der zweiten Grundschulklasse gewesen sein.«
»Ich meine, als er starb«, sagte sie leise. »Zehn«, antwortete er. »Ich war gerade zehn geworden.« Er blieb stehen. Er wollte nicht, daß sie ging. Er wollte nicht hineingehen und wieder mit seinem täglichen Leben konfrontiert werden. »Ich besitze keine Waffe«, verkündete er. »Danken Sie Gott«, meinte sie.
Kapitel 7
Die Tage vergingen. West hatte nicht die Absicht, sich weiter mit dem Fall Andy Brazil auseinanderzusetzen. Seine Probleme waren seine Sache, und es war Zeit, daß er erwachsen wurde. Doch als der nächste Sonntag nahte und Raines neuerlich einen gemeinsamen Brunch vorschlug, rief sie Brazil an. Schließlich war sie autorisiert, an Schußwaffen auszubilden, also war es nur fair, daß sie ihm ihre Hilfe anbot. Er sagte, er könne in zehn Minuten fertig sein. Sie erwiderte, wenn sie nicht gerade die nächste Concorde nach Davidson bekomme, könne sie ihn wohl frühestens in einer Stunde abholen. Zu dem Zweck entschied sie sich für ihren Privatwagen, einen Ford Explorer mit zwei Airbags. Es war ein weißer sportlicher Geländewagen mit Vierradantrieb und einem gewaltigen Durst. Gegen drei Uhr nachmittags bog sie mit dröhnendem Motor in Brazils Auffahrt ein. Noch bevor sie aussteigen konnte, stand er schon vor der Haustür. Am naheliegendsten wäre der Schießstand der Police Academy gewesen, doch dort waren weder Volunteers noch Gäste zugelassen. Also entschied sich West für die Firing Line am Wilkinson Boulevard, direkt hinter Bob's Pfandleihe und einer Reihe von Trailer Parks. Dazu gehörten das Oakden Motel, Country City USA und Coyote Joe's.
Wären sie ein oder zwei Blocks weitergefahren, wären sie auf dem Parkplatz der Paper Doll Lounge gelandet. West erinnerte sich, daß sie dort mehr als einmal zu einem Einsatz wegen tätlicher Auseinandersetzungen mußte. Eine ekelhafte Nachbarschaft. Topless-Bars neben Pfandleihhäusern und Waffengeschäften - als ob nackte Busen und G-Strings, Pfandstücke und Waffen irgendwas miteinander zu tun hätten. West fragte sich, ob Brazil wohl jemals ein Oben-ohne-Lokal betreten hatte, und stellte sich vor, wie steif er auf seinem Stuhl säße, sich an den Armlehnen festklammernd, bis die Knöchel weiß wurden, während eine nackte Frau sich an den Innenseiten seiner Schenkel rieb und ihm mit ihren Brüsten im Gesicht herumwedelte.
Wohl kaum, entschied West. Doch er blieb ein Fremder für sie, der eine andere Sprache sprach, andere Dinge aß und anderes erlebt hatte. Wie war er so geworden? Hatte er in der High School oder im College Mädchen gehabt? Oder Jungen? Am Schießplatz suchte sie in den Regalen des Shops nach der geeigneten Munition: .380er Winchester-Munition mit 9sgrain Vollmantelgeschoß, Neun-Millimeter-Luger-Patronen mit 7,5g Rundkopfgeschoß, Federal-Hi-Power-Munition, Kal .45 Auto, mit 230grain Hydra-Shok-Hollowpointgeschossen, und eine 50er-Packung Winchester Super X-Munition, wenn die auch viel zu teuer war, um sie beim Übungsschießen zu verballern. Brazil stand neben ihr und war rein aus dem Häuschen. Als stünden sie in einem Süßwaren-Laden, und sie kaufte Bonbons für ihn ein.
In der Schießhalle herrschte Lärm wie im Krieg. Schießwütige Hinterwäldler von der National Rifle Association trieben hier ihren Waffenkult. Drogendealer mit dem nötigen Bargeld standen in Springerstiefeln am Schießstand und verbesserten ihre Abschußquote. West und Brazil gesellten sich dazu, mit Schutzbrille, Gehörschutz und diversen Munitionsschachteln beladen. Als Frau in Jeans, dazu mit zwei Pistolen in der Hand, erntete sie feindselige Blicke, schließlich drang sie da in einen gefährlichen Männerclub ein. Auch Brazil registrierte die Signale.
Ihm schienen die Männer ebenfalls keine Sympathien entgegenzubringen. Er fühlte sich auf einmal unwohl in seinem Sweatshirt der Davidson-Tennismannschaft und dem bunten
Weitere Kostenlose Bücher