Die Hornisse
fragte West, die schließlich die Ermittlungen leitete und solche Dinge wissen müßte. »Wenn wir welche bekommen, werden wir ihnen nachgehen«, sagte Hammer. »Was sonst?«
»So können wir es auch nicht sagen«, sagte die PIO sorgenvoll. »Dieses Wenn-wir-welche-bekommen müssen wir weglassen.« Ungeduldig schnitt Hammer ihr das Wort ab. »Sicher. Das versteht sich doch von selbst. Sie müssen das nicht wörtlich nehmen. Aber genug jetzt. Wir müssen weiter. Wir werden also folgendes tun: Wir werden eine Pressemitteilung herausgeben.« Sie sah die PIO über ihre Lesebrille hinweg an. »Ich möchte sie bis halb elf auf meinem Schreibtisch haben. Gegen drei Uhr kann sie dann an die Presse rausgehen, damit die sie noch vor Redaktionsschluß hat. Und ich sehe zu, ob ich mich mit Cahoon einigen und ihm diese Sache ausreden kann.«
Der Plan kam einem Ansuchen um eine Privataudienz beim Papst gleich. Zwischen Hammers Sekretär und einem weiteren Assistenten und Cahoons Leuten gingen fast den ganzen Tag lang Telefongespräche hin und her. Mit Mühe und Not kam schließlich ein Termin am späten Nachmittag zustande, irgendwann zwischen sechzehn Uhr fünfzehn und siebzehn Uhr. Irgendwo würde sich dann schon eine Lücke im vollen Terminkalender des Vorstandsvorsitzenden finden lassen. Hammer blieb nichts anderes übrig, als pünktlich um Viertel nach anzutanzen und das Beste zu hoffen. Um vier Uhr verließ sie das Police Department und ging zu Fuß hinüber. Es war ein herrlicher Tag, was sie allerdings bisher noch nicht mitbekommen hatte. Sie folgte der Trade Street zur Tryon. Die führte zum Corporate Center mit seinem ewigen Feuer und den Skulpturen vor der Fassade. Mit festen Schritten und klappernden Absätzen durchquerte sie die riesige Lobby mit ihrem Marmorboden. Die Wände waren in teurem Holz getäfelt. Dann kam das berühmte Fresko, das die Shingon-Philosophie vom Chaos, von der Kreativität, vom Schaffen und Bauen symbolisierte. Sie nickte einem Wachmann zu, der zurücknickte und sich an die Mütze tippte. Er mochte diesen weiblichen Chief. Sie hatte den Gang einer Dame, und sie war immer freundlich und behandelte niemanden von oben herab, ob er nun ein echter Cop war oder nur ein Wachmann.
Hammer betrat den überfüllten Aufzug, den sie als Letzte im obersten Stockwerk verließ. Die Dachkrone war in dieser schwindelnden Höhe tatsächlich ein Gebilde aus Aluminiumrohren. Hammer suchte Cahoon nicht zum ersten Mal auf. Selten verging ein Monat, in dem er sie nicht in seine Suite aus Mahagoni und Glas hoch über der Stadt rief. Wie im Hampton Court Palace hatten auch hier Besucher erst einmal einige Gebäuderinge und Höfe zu durchqueren, bevor sie zu ihrem König gelangten. Sollte je ein verruchter Killer seinen Auftrag hier ausführen, würde es viele Sekretärinnen und Assistenten das Leben kosten, bevor er den Thronsaal selbst betrat. Und Cahoon hätte wahrscheinlich nicht einmal die Schüsse gehört.
Nachdem sie die verschiedensten Vorzimmer hinter sich gelassen hatte, stand Hammer schließlich an dem Ort, wo Mrs. Mullis-Mundi residierte. Wer sie nicht mochte, und das waren praktisch alle, nannte sie nur M&M. Sie wirkte nach außen zuckersüß, hatte jedoch Haare auf den Zähnen. Hammer hatte nicht das geringste für dieses hochnäsige junge Ding übrig, das geheiratet, aber seinen Namen beibehalten und den ihres Mannes, Joe Mundi, hinten drangehängt hatte. Mrs. Mullis-Mundi litt unter Bulimie, hatte Silikonbrüste und langes, wasserstoffblondes Haar. Sie trug die Mode von Anne Klein in Größe 32. Das Parfüm war von Escada. Täglich besuchte sie Gold's Fitneßstudio. Sie trug nie Hosen und wartete mit Sicherheit nur noch auf die passende Gelegenheit, jemanden der sexuellen Belästigung zu zeihen.
»Wie schön, Sie zu sehen, Judy.« Die Chefsekretärin stand auf und kam ihr in dieser leicht in den Knien federnden Art entgegen, wie Hammer das von eifrigen Bowlingspielern kannte. »Ich sehe mal nach, wie es für Sie aussieht.«
Nach einer halben Stunde saß Hammer noch immer auf der butterweichen Couch mit elfenbeinfarbenem Lederbezug. Sie ging inzwischen die Statistiken und Unterlagen durch, die stets in großer Anzahl in ihrer Aktentasche lagerten. Mrs. Mullis-Mundi telefonierte ununterbrochen, doch das schien ihr nichts auszumachen. Sie zog erst einen Ohrring ab, dann den zweiten, nahm den Hörer in die jeweils weniger ermüdete Hand, als wolle sie damit nachdrücklich auf die schmerzhaften Pflichten
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